Beitrag in Jahrbuch 2012

Allgemeine Entwicklung Weiterentwicklung der landtechnischen Sicherheitsnormen

Kurzfassung:

Die landtechnischen Sicherheitsnormen bilden einen wichtigen Teil des sicherheitstechnischen Regelwerkes für Landmaschinen und tragen wesentlich zur Sicherheit in der Landwirtschaft und dem freien Warenverkehr in der EU bei. Voraussetzung ist jedoch, dass die Normen geeignete und dem aktuellen Stand der Technik entsprechende Sicherheitsanforderungen beschreiben. Um dies sicherzustellen, wurde ein Norm-Überprüfungsprozess unter Einbeziehung aller interessierten Kreise durchgeführt mit dem Ergebnis, dass die Eignung der Normen zur Konkretisierung der EG-Richtlinie Maschinen bestätigt und Änderungsvorschläge zur Aktualisierung und Vervollständigung des sicherheitstechnischen Normenwerkes vorgelegt wurden. Die Vorschläge werden zurzeit in die internationale Normung eingebracht.

Volltext

Weiterentwicklung der landtechnischen Sicherheitsnormen

Norbert Alt,

Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau VDMA

Kurzfassung

Die landtechnischen Sicherheitsnormen bilden einen wichtigen Teil des sicherheitstechnischen Regelwerkes für Landmaschinen und tragen wesentlich zur Sicherheit in der Landwirtschaft und dem freien Warenverkehr in der EU bei. Voraussetzung ist jedoch, dass die Normen geeignete und dem aktuellen Stand der Technik entsprechende Sicherheitsanforderungen beschreiben. Um dies sicherzustellen, wurde ein Norm-Überprüfungsprozess unter Einbeziehung aller interessierten Kreise durchgeführt mit dem Ergebnis, dass die Eignung der Normen zur Konkretisierung der EG-Richtlinie Maschinen bestätigt und Änderungsvorschläge zur Aktualisierung und Vervollständigung des sicherheitstechnischen Normenwerkes vorgelegt wurden. Die Vorschläge werden zurzeit in die internationale Normung eingebracht.

Schlüsselwörter

Landtechnik, Sicherheit, Norm

Further development of agricultural machinery safety standards

Norbert Alt,

German Engineering Federation VDMA

Abstract

The safety standards for agricultural machinery constitute an essential part of the safety regulations and contribute to the safety in agriculture and the free movement of goods in Europe. The pre-condition for this important role is that these standards include appropriate safety requirements which correspond to the actual state of art. To satisfy this pre-condition the safety standards for agricultural machinery were reviewed by a process involving all interested parties. As result, this process confirmed the available safety standards as appropriate instruments for implementing the machinery directive and delivered various proposals for actualization and completion. These proposals are now presented to the ISO committees.

Keywords

Agricultural machinery, safety, standard

Rolle und Bedeutung der Normen

Entsprechend dem Harmonisierungskonzept 'New Approach' gliedert sich das technische Regelwerk in einen gesetzlichen (EG-Richtlinien) und einen normativen (harmonisierte Europäische Normen) Teil. Paradebeispiel ist die EG-Richtlinie Maschinen (aktuelle Fassung 2006/42/EG) und die dazu im Amtsblatt der Europäischen Union gelisteten Sicherheitsnormen für Maschinen [1]. Der Europäische Gesetzgeber, d. h. Ministerrat, Parlament und Kommission, verfolgt mit dem New Approach die Ziele, den Europäischen Harmonisierungsprozess zu beschleunigen, indem die Richtlinien nur grundlegende Anforderungen definieren, die technische Diskussion den Produkt- und Normungsexperten zu überlassen und damit ein schlankes und dynamisches Regelwerk zu schaffen. Mit den Instrumenten 'Mandatierung' und 'Listung im Amtsblatt' behält der Gesetzgeber die Kontrolle über die Normungsarbeiten, ohne selbst direkt involviert sein zu müssen.

Von harmonisierten Europäischen Normen geht die sog. Vermutungswirkung aus. D. h. werden Produkte / Maschinen entsprechend einer harmonisierten Europäischen Norm gestaltet, können Hersteller und Marktaufsichtsbehörden davon ausgehen, dass die gesetzlichen (technischen) Anforderungen erfüllt sind. Für den Hersteller resultiert aus der Normanwendung der weitere Vorteil, dass sich die in der Maschinen-Richtlinie geforderte Risikobeurteilung erheblich vereinfacht (Bild 1).

Bild 1: Rolle von Normen bei der Risikobeurteilung 2

Figure 1: Relationship between standards and risk assessment 2

Gründe für den Aktualisierungsbedarf

Für den Bereich Land- und Forstmaschinen sind derzeit rd. 50 Sicherheitsnormen in Verbindung mit der Maschinen-Richtlinie im Amtsblatt der Europäischen Union gelistet, die im Wesentlichen in den 1990er Jahren auf Europäischer (CEN) und internationaler (ISO) Ebene erarbeitet wurden. Die Notwendigkeit, diese Normen zu aktualisieren und weiter zu entwickeln, resultierte insbesondere aus drei Gründen.

Normen müssen den Stand der Technik widerspiegeln, d. h. sie müssen dem aktuellen Entwicklungsstand von Maschinen abbilden, um einerseits für Entwicklung und Konstruktion ein geeignetes Hilfsmittel darzustellen und um andererseits bei der sicherheitstechnischen Beurteilung z. B. durch Marktaufsichtsbehörden auf Akzeptanz zu stoßen. Da Normen vorwiegend den anerkannten Stand der Technik beschreiben, ergibt sich aus immer kürzer werdenden Entwicklungszyklen in der Industrie in Verbindung mit dem für die Normerstellung notwendigen Zeitbedarf praktisch ein ständiger Aktualisierungsbedarf.

Von den in der Maschinen-Richtlinie geforderten, grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen wurden in der Vergangenheit nicht alle Anforderungen in den Landtechnik-Normen berücksichtigt, da die für den gesamten Maschinenbau formulierten Anforderungen teilweise für Landmaschinen als nicht relevant angesehen wurden oder zum Teil auch keine konkreten Vorschläge zur Maschinen-spezifischen Konkretisierung zur Verfügung standen. Aus dem zuvor genannten Interesse an möglichst vollständigen Normen resultierte ein Ergänzungsbedarf.

Ende der 1990er Jahre beschloss die Landmaschinenbranche, die bis dahin vorwiegend auf Ebene der EU erfolgte Sicherheitsnormung auf die internationale Plattform ISO zu verlagern, um damit der zunehmenden Globalisierung von Märkten und Unternehmen Rechnung zu tragen. In einem ersten Schritt wurde eine begrenzte Anzahl von Normen für die Bearbeitung als EN ISO-Norm ausgewählt, um Erfahrungen zu sammeln. Da sich EN ISO-Normen, d. h. Normen, die in der Regel unter der Federführung von ISO und unter Beachtung der Europäischen Vorgaben erarbeitet werden, zwischenzeitlich als geeignetes Instrument für die Landtechnik bewährt haben, ist dieser Weg konsequent fortzusetzen und auf alle landtechnischen Sicherheitsnormen zu übertragen.

Vorgehensweise bei der Weiterentwicklung und erzielte Ergebnisse

Die Diskussion der landtechnischen Sicherheitsnormen erfolgte im Rahmen eines sog. Norm-Überprüfungsprozesses durch die vom VDMA geführte Normengruppe Landtechnik (NLA) und deren Technischen Ausschüsse. Der Prozess zeichnete sich dadurch aus, dass praktisch alle Sicherheitsnormen für die Landtechnik und rd. 150 einzelne Sachverhalte in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum (2008 bis 2010) analysiert wurden. Die Bereitschaft des staatlichen Arbeitsschutzes und von Maschinenanwendern in diesem Prozess mitzuwirken, ermöglichte es, zusätzliche Erfahrungen einzubinden und damit die Zielsetzung, die landtechnischen Normen in Bezug auf Verständlichkeit, Vollständigkeit, Übereinstimmung mit den gesetzlichen Anforderungen und Aktualität zu optimieren, zu realisieren. Die äußerst konstruktiven Gespräche führten nicht nur zu einem gemeinsamen Verständnis, wie die generellen Sicherheitsanforderungen der Maschinen-Richtlinie in Hinblick auf die spezifischen Bedingungen in der Landwirtschaft anzuwenden sind, sondern mündeten auch in einem regelmäßigen Dialog zwischen Herstellern und Arbeitsschutz.

In Bezug auf die Ergebnisse lieferte der Norm-Überprüfungsprozess eine Vielzahl von eher redaktionellen Vorschlägen, die insbesondere auf eine bessere Verständlichkeit der Normen im Sinne von eindeutigeren Formulierungen abzielen. Daneben wurden aber auch Vorschläge für neue Anforderungen oder wesentliche Änderungen an bestehenden Anforderungen formuliert. Wichtige Beispiele, die für alle oder den Großteil von Landmaschinen relevant sind, werden im Folgenden anhand von vier Beispielen erläutert.

Da die generelle Forderung der EG-Richtlinie Maschinen (Anhang I, Ziffer 1.3.7), dass bewegliche Teile von Maschinen gegen Berühren zu sichern sind, bei Landmaschinen insbesondere in Bezug auf Arbeitswerkzeuge nicht umsetzbar ist, fordern die landtechnische Sicherheitsnormen einen Schutz gegen unbeabsichtigtes Berühren, z.B. durch Abweisbügel. Dieser Grundsatz wurde im Rahmen des Norm-Überprüfungsprozesses von allen Beteiligten bestätigt. Mit einem entsprechenden Ergänzungsvorschlag für die Grundlagen-Norm EN ISO 4254-1 soll diese für die Landtechnik zentrale Aussage jetzt auch ausdrücklich in der Norm dokumentiert werden [3]. In Bezug auf Abweisbügel, die für die Straßenfahrt zur Reduzierung der Maschinenbreite eingeklappt werden können, soll ergänzend gefordert werden, dass der Maschinenbetrieb nur dann möglich sein darf, wenn sich der Abweisbügel in Schutzstellung befindet.

In Bezug auf die Forderung der Maschinen-Richtlinie (Anhang I, Ziffer 3.2.1), dass Fahr- und Arbeitsbereiche vom Fahrerplatz aus eingesehen werden können müssen, um den gefahrlosen Maschineneinsatz zu ermöglichen, wurde ein neues Prüfverfahren entwickelt, das einzelne Sichtbereiche definiert und nach der Wahrscheinlichkeit des Eintretens einer Gefahrensituation klassifiziert (Bild 2). In diesen Bereichen muss jeweils ein definierter Prüfkörper vom Fahrersitz aus erkannt werden können. Ist dies nicht oder nur eingeschränkt möglich, sind definierte Maßnahmen zu ergreifen. Um diese Methode auch auf angebauten und gezogenen Maschinen anwenden zu können, wurden ¬– analog zu der Geräuschmessung – fiktive Augenpunkte definiert, so dass die Überprüfung der Sichtfeldanforderungen bei Geräten Traktor-unabhängig erfolgen kann. Dieser Vorschlag wurde zur Revision von ISO 5721 bei ISO eingebracht [4].

Ein weiteres Beispiel für eine neue Anforderung ist das Ergebnis zu 'Nothalt-/Notaus-Einrichtungen' (Anhang I, Ziffer 1.2.4.3 der Maschinen-Richtlinie). Hierzu wurde ein Vorschlag entwickelt, der die Ausrüstung von Landmaschinen mit Notaus-Einrichtungen z. B. für die Fälle fordert, dass der Bedienplatz (Fahrerplatz) der Maschine während des Betriebs nicht ständig besetzt ist, die Kommunikation zwischen mehreren, auf einer Maschine vorhandenen Arbeitsplätzen eingeschränkt ist oder Maschinen mittels Fernbedienung gesteuert werden.

In Hinblick auf die stetig zunehmende Komplexität bei Landmaschinen kommt der Sicherheit und Zuverlässigkeit von Steuerungen eine zentrale Bedeutung zu (EG-Richtlinie Maschinen, Anhang I, Ziffer 1.2). Um den Umgang mit dieser komplexen Thematik zu erleichtern, wurde von dem Technischen Ausschuss Elektronik die internationale Norm ISO 25119 entwickelt, die jetzt als Referenz-Norm in EN ISO 4254-1 aufgenommen werden soll [5]. Damit geht - quasi indirekt - auch von ISO 25119 die sog. Vermutungswirkung aus und diese Norm kann auch formal als Alternative zu anderen Grundlagennormen im Bereich der funktionalen Sicherheit angewendet werden.

Bild 2: Verschiedene Sichtfeldbereiche am Beispiel eines Traubenvollernters [6]

Figure 2: Different areas of the field of vision - example of grape harvester [6]

Aktueller Diskussionsstand bei der Umsetzung der Ergebnisse bei ISO

In Hinblick auf die Anzahl der von dem Norm-Überprüfungsprozess betroffenen Normen, die unterschiedlichen Veröffentlichungsdaten und, um eine effiziente Bearbeitung der Revisionsvorschläge auf ISO-Ebene zu ermöglichen, werden die Änderungs- und Ergänzungsvorschläge in drei Phasen in die internationale Diskussion eingebracht (Bild 3). Die Phase I, mit der die Grundlagennorm EN ISO 4254-1 und die Norm für das Sichtfeld ISO 5721 überarbeitet werden sollen, ist zwischenzeitlich inhaltlich weitgehend abgeschlossen.

Das für die Revision von EN ISO 4254-1 vorgesehenen Dokument wurde in der Sitzung des Sicherheitskomitees ISO/TC 23/SC 3 'Sicherheit & Komfort', das gemeinsam von Deutschland und USA geleitet wird, im Mai 2012 zur Einleitung der Schlussabstimmung freigegeben. Die von Deutschland eingebrachten, aus dem Norm-Überprüfungsprozess resultierenden Änderungsanträge wurden praktisch vollständig berücksichtigt. Die Veröffentlichung der Neuausgabe von EN ISO 4254-1 dürfte im Frühjahr 2013 erfolgen.

In Bezug auf die Sichtfeldnorm ISO 5721 haben Teil 1 (Sichtfeld nach vorne) und Teil 2 (seitliches Sichtfeld) im Sommer 2012 das Entwurfsstadium erreicht, so dass mit der Bearbeitung des darauf aufbauenden Teiles 3 (Rundum-Sicht im Sinne der Maschinen-Richtlinie) Ende 2012 begonnen werden konnte.

Im Sommer 2012 wurde mit der Formulierung der konkreten Änderungs- und Ergänzungsvorschläge zu den Sicherheitsnormen der Phase II begonnen, so dass deren Revision Ende 2012 beantragt werden konnte. Die Umsetzung der Ergebnisse des Norm-Überprüfungsprozesses verläuft damit insgesamt nach Plan.

Bild 3: Zeitplan für die Revision der landtechnischen Sicherheitsnormen

Figure 3: Time schedule for the revision of safety standards

Zusammenfassung

Die landtechnischen Sicherheitsnormen bilden einen wichtigen Teil des sicherheitstechnischen Regelwerkes für Landmaschinen und tragen wesentlich zur Sicherheit in der Landwirtschaft und dem freien Warenverkehr in der EU bei. Voraussetzung ist jedoch, dass die Normen geeignete und dem aktuellen Stand der Technik entsprechende Sicherheitsanforderungen beschreiben. Um dies sicherzustellen, wurde ein Norm-Überprüfungsprozess unter Einbeziehung aller interessierten Kreise durchgeführt mit dem Ergebnis, dass die Eignung der Normen zur Konkretisierung der EG-Richtlinie Maschinen bestätigt und Änderungsvorschläge zur Aktualisierung und Vervollständigung des sicherheitstechnischen Normenwerkes vorliegen. Die vorliegenden Vorschläge werden zurzeit in die internationale Normung eingebracht.

Literatur

[1] Richtlinie 2006/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.05.2006 über Maschinen und zur Änderung der Richtlinie 95/16/EG

[2] Heimann, S.; Tieden, H.: Leitfaden zur Beurteilung von Risiken bei der Entwicklung und Konstruktion von Landmaschinen, VDMA

[3] EN ISO 4254-1 Landmaschinen; Sicherheit; Teil 1: Generelle Anforderungen

[4] ISO 5721 Tractors for agriculture; operator's field of vision

[5] ISO 25119 Tractors and machinery for agriculture and forestry; safety-related parts of control systems; Part 1: General principles for design and development; Part 2: Concept phase; Part 3: Series development, hardware and software; Part 4: Production, operation, modification and supporting processes

[6] Normengruppe Landtechnik (NLA); Arbeitsunterlagen der Projektgruppe "Sichtfeld", unveröffentlicht

 

 

 

 

Bibliografische Angaben / Bibliographic Information

Wissenschaftliches Review / Scientific Review

Erfolgreiches Review am 21.08.2012

Empfohlene Zitierweise / Recommended Form of Citation

Alt, Norbert: Weiterentwicklung der landtechnischen Sicherheitsnormen. In: Frerichs, Ludger (Hrsg.): Jahrbuch Agrartechnik 2012. Braunschweig: Institut für mobile Maschinen und Nutzfahrzeuge, 2012. – S. 1-7

Zitierfähige URL / Citable URL

http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00043432

Link zum Beitrag / Link to Article

http://www.jahrbuch-agrartechnik.de/index.php/artikelansicht/items/85.html

Schlagworte:
Landtechnik, Norm, Sicherheit
Empfohlene Zitierweise:
Alt, Norbert: Weiterentwicklung der landtechnischen Sicherheitsnormen. In: Frerichs, Ludger (Hrsg.): Jahrbuch Agrartechnik 2012. Braunschweig: Institut für mobile Maschinen und Nutzfahrzeuge, 2012. – S. 1-7

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