Beitrag in Jahrbuch 2012

Geschichte der Agrartechnik Geschichte der Agrartechnik

Kurzfassung:

Der Fachausschuss „Geschichte der Agrartechnik“ der Max-Eyth-Gesellschaft will in seiner ehrenamtlichen Tätigkeit neben dem „Erinnern an …“ nun mehr und mehr auch den Zugang zu den technikgeschichtlichen Schätzen erleichtern. Im gegenwärtigen digitalen Zeitalter ist dazu die Digitalisierung unumgänglich. Allerdings: angesichts der schier magischen Wirkung, die ein altes Originalfoto oder ein bibliophiles Unikat auf den Betrachter auslöst, kann man relativieren: Digitalisierung ist nicht alles – aber ohne Digitalisierung ist alles bald nichts! Erste Schritte bestehen nun darin, agrartechnische Sammlungen besser bekannt und deren Exponate der interessierten Fachöffentlichkeit über das jederzeit abrufbare Digitalisat leichter zugänglich zu machen. Drei Beispiele sollen dies verdeutlichen, ohne dabei zu verschweigen, dass hier ein aufwendiger Prozess gerade erst in Gang gesetzt wurde, der voller technisch-organisatorischer und urheberrechtlicher Komplikationen steckt.

Volltext

Geschichte der Agrartechnik

Jürgen Hahn,

FA Geschichte der Agrartechnik im VDI/MEG

Kurzfassung

Der Fachausschuss „Geschichte der Agrartechnik“ der Max-Eyth-Gesellschaft will in seiner ehrenamtlichen Tätigkeit neben dem „Erinnern an …“ nun mehr und mehr auch den Zugang zu den technikgeschichtlichen Schätzen erleichtern. Im gegenwärtigen digitalen Zeitalter ist dazu die Digitalisierung unumgänglich. Allerdings: angesichts der schier magischen Wirkung, die ein altes Originalfoto oder ein bibliophiles Unikat auf den Betrachter auslöst, kann man relativieren: Digitalisierung ist nicht alles – aber ohne Digitalisierung ist alles bald nichts!

Erste Schritte bestehen nun darin, agrartechnische Sammlungen besser bekannt und deren Exponate der interessierten Fachöffentlichkeit über das jederzeit abrufbare Digitalisat leichter zugänglich zu machen. Drei Beispiele sollen dies verdeutlichen, ohne dabei zu verschweigen, dass hier ein aufwendiger Prozess gerade erst in Gang gesetzt wurde, der voller technisch-organisatorischer und urheberrechtlicher Komplikationen steckt.

Schlüsselwörter

Agrartechnische Sammlung, Digitalisierung

Historical Development of Agricultural Engineering

Jürgen Hahn,

Technical Committee Historical Development of Agricultural Engineering in VDI/MEG

Abstract

Besides the retrospective tasks, the honorary work of the Technical Committee “Historical Development“ of the Max Eyth Society is to facilitate access to treasures of historical agricultural engineering. In the current digital age digitisation is essential. However, digitisation can be put into perspective by the fact that the viewers’ fascination for old photographs and bibliophilic editions continues: Digitisation is not the ultimate solution, but without digitisation, it is nothing.

First actions have been taken to advertise and promote collections of historical agricultural engineering and therefore to allow for online access to the digital database of collections’ exhibits. This recently started process is explained by providing three examples without concealing problems due to technical, organisational and copyright challenges.

Keywords

Collection of historical agricultural engineering, digitisation

Bewahrenswürdiges aus der Geschichte der Agrartechnik befindet sich in landtechnischen Museen, bei Firmen, an Universitäten, in Prüf- und Landesanstalten und auch in schon erschlossenen oder noch unbearbeiteten Archiven von Nachlassorganisationen oder Vereinen. Und in den Köpfen der Zeitzeugen!

Vorwiegend handelt es sich um physische Exponate, Schrifttum, Fotos und Film- oder Videomaterial, die dort nach unterschiedlichen Systematiken archiviert und in seltenen Fällen auch bereits digitalisiert sind. Darüber hinaus gilt die Aufmerksamkeit des Fachausschusses „Geschichte der Agrartechnik“ weiterhin den Persönlichkeiten, Unternehmen, Erzeugnissen und Ereignissen, die die Entwicklung der Agrartechnik in den zurückliegenden 150 Jahren nachhaltig geprägt haben.

Der Umgang mit diesem Erbe kann durchaus unterschiedlich sein, wie die nachfolgenden Beispiele zeigen.

AgTecCollection in mediaTUM

Durch das Initiieren und „Beackern“ des technikgeschichtlichen Datenbank-Projektes AgTecCollection hat sich Prof. Dr. Auernhammer aus Freising seit mehr als 10 Jahren um das Digitalisieren und Zugänglichmachen agrartechnischer Foto- und Schrifttums-sammlungen verdient gemacht [1]. An die Digitalisierung und Erfassung der Bildzusatzdaten ab 2001 und der Entwicklung des Archivierungssystems „mediaTUM“ durch die Bibliothek der TUM in München ab 2003 schlossen sich umfangreiche Systemtests, Schlagwortdefinitionen und Klassifizierungsarbeiten an. Mit der systematischen Erschließung und Beschlagwortung des agrartechnischen Bildbestandes wurde im Jahre 2009 begonnen. Inzwischen ist die Saat reichlich aufgegangen. Derzeit sind mehr als 33.000 Bilder, vorwiegend aus Weihenstephan, Garching und Berlin, ferner 243 Schriften (Lehrbücher Landtechnik, Dissertationen, Bände Schlüter-Seminare …) digitalisiert, gespeichert und verfügbar http://mediatum.ub.tum.de [2].

Bild 1: Bildschirmtext der Einstiegseite von AgTecCollection in mediaTUM [2]

Figure 1: Screenshot AgTecCollection in mediaTUM [2]

Als von großem Wert für die Einrichtung des Datenbanksystems erwies sich die sachkundige Betreuung aus bibliothekarischer und informationstechnischer Sicht in der Bibliothek der TU München. Dennoch verbleibt eine Fülle von Arbeiten beim Bereitsteller der Sammlungsdaten. Bei Schriften wurde die Rechteübertragung der Autoren eingeholt. Das Schlagwortverzeichnis liegt auch in englischer Sprache vor. Auch der Systemzugang ist in Englisch möglich. Weitere Sprachen sind in Vorbereitung (Multilingualität). Für jedes Objekt existieren Quellenangaben.

Die Zugriffshäufigkeit war von Anfang an sehr hoch. Sie hat sich dann aber zwischen den Jahren 2009 und 2011 annähernd verdoppelt, vermutlich durch Einführung der englischen Sprache. Bisher gab es mehr als 400.000 Zugriffe und über 20.000 Downloads aus insgesamt 74 Ländern.

Das Projekt und seine Nutzungsmöglichkeiten wurden vom Initiator Auernhammer mehrfach im In- und Ausland vorgetragen und fanden dabei außerordentlich großes Interesse. Anregungen aus diesen Foren, aus dem Team mediaTUM sowie aus dem Kollegium des Fachausschusses „Geschichte der Agrartechnik“ [3] ergaben zahlreiche Wünsche und Vorschläge zur Weiterentwicklung.

Geprüft wird dabei vor allem die Möglichkeit, das bewährte Datenbank-System auch außerhalb der TU München, mit erweitertem Anwendungsbereich und beliebig verortetem Server nutzen zu können. Unter anderem an Folgendem wird zurzeit intensiv gearbeitet:

- Erweiterung um Personendarstellungen einschl. der erforderlichen Metadaten,

- Integration von Primärdaten (wie z.B. von Prüfberichten),

- Integration von Bewegtbildern/-sequenzen (Filme, Videos …),

- Previewing von pdf-Dokumenten mit kostenpflichtigem Download eigentumsbezogener

Objektteile

Das Beispiel FAHR

Enthusiasten des "FAHR-Schlepper-Freunde e.V." haben wertvolle Dokumente aus dem FAHR-Nachlass zunächst vor der Entsorgung bewahrt und danach zu einem gut nutzbaren Archiv aufbereitet [4]. Unter den vielen einstmals namhaften und heute nicht mehr existenten deutschen Landtechnik-Unternehmen ist solches in vergleichbarer Form nach Kenntnis des Autors bislang einmalig.

Die in diesem Archiv befindlichen Originale betreffen Produkte der ehemaligen Maschinenfabrik FAHR AG seit der Firmengründung im Jahr 1870 bis zum Jahr 1977, bzw. DEUTZ-FAHR bis zum Jahr 1988, dem Zeitpunkt der Übernahme des Unternehmens durch GREENLAND, http://www.fahr-schlepper-freunde.de/fahr-landtechnik-archiv.html.

Für die Aufnahme in eine Datenbank und zur Präsentation im Internet wird von repräsentativen FAHR-Produkten aus allen Herstellungsperioden, Fertigungslinien und Sachgebieten eine begrenzte Anzahl von Fotos, Betriebsanleitungen, Ersatzteillisten und Prospekten ausgewählt, gescannt und in Excel-Dateien erfasst. Diese enthalten für jedes Dokument folgende Angaben:

- ID-Nr. und Format (pdf, tif)

- Dokumententyp (Betriebsanleitung, Ersatzteilliste, Foto, Prospekt)

- Sachgebiet (Produkte der Gründerzeit, Schlepper, Bodenbearbeitungsmaschinen, Ernte-

und Aufbereitungsmaschinen für Futter und Getreide, Fahrzeuge, Fördergeräte, usw.)

- Dokument-Titel, Schlagwort und Herstellungsjahr sowie technische Besonderheiten

Zusätzliche Dateien geben Auskunft über die Geschichte der Maschinenfabrik FAHR, das Produktionsprogramm und -zeiträume sowie Gesamtstückzahlen der bis 1988 serienmäßig hergestellten Maschinen [5].

Digitalisiert und für die Präsentation im Internet vorbereitet sind gegenwärtig [6]:

- 374 Betriebsanleitungen und Ersatzteillisten mit etwa 27.800 Seiten und 3.200 MB

- 287 Prospekte mit etwa 1.700 Seiten und 850 MB

- 325 Fotos mit etwa 2.800 MB

Man muss nicht unbedingt eigene Erfahrungen mit der digitalen Archivierung haben, um zu erkennen, wie viel Herzblut in dem bisher Erreichten und noch Geplanten steckt. Die überaus umfangreichen und kostenintensiven Arbeiten wurden hauptsächlich von Prof. Baader und Dr. Krombholz ausgeführt. Das Projekt versteht sich auch als Anregung für vergleichbare Traditionsvereine und traditionsbewusste Landmaschinenunternehmen.

Das Beispiel Prillinger

Kommerzialrat Karl Prillinger aus Wels/Österreich hat schon während seiner Karriere als Großhändler für Landmaschinen-Ersatzteile sein Interesse für das Sammeln von Schriftgut aus drei Jahrhunderten landtechnischer Entwicklung entdeckt und nach dem Ausstieg aus dem aktiven Geschäftsbetrieb weiter kultiviert. Mittlerweile enthält seine Sammlung ungefähr 700.000 Einzelstücke, hauptsächlich historische Bücher, alte Prospekte, Firmenschriften und Ersatzteillisten [7]. Archivierungsziel ist es, diese zum Teil einzigartigen Dokumente mit ihrer riesigen Informationsfülle für die Nachwelt zu erhalten. In speziellen Klarsichttaschen und Ringmappen und geordnet nach Herstellernamen und Maschinenart in großzügigen, klimatisierten Archivräumen abgelegt, gelingt dies vorbildlich.

Bild 2: Agrarhistorisches Archiv Prillinger [7]

Figure 2: Archives Prillinger [7]

Mit der Zeit gehend, hat Herr Prillinger in jüngster Zeit auch veranlasst, eine Datenbank zu erarbeiten, um die Systematik zu verfeinern, die Objektfindung zu erleichtern und den Informationsaustausch zu ermöglichen. Über den Rahmen des Fachausschusses „Geschichte der Agrartechnik“ hinaus soll damit die Möglichkeit geschaffen werden, das Archiv unter Wahrung der Eigentums- und Urheber-Regulative zu nutzen. Dazu hatten die Ausschuss-Mitglieder im Rahmen der jüngsten Sitzung im Mai 2012 vor Ort schon ausgiebig Gelegenheit [8]. Dabei kamen auch Urheberrechtsfragen beim Umgang mit Sammlungen zur Sprache [9].

Gibt es eine gemeinsame Plattform?

Es ist zu wünschen, dass sukzessive alle relevanten agrartechnischen Archive in digitalen Datenbanken erfasst und auf diesem Wege der interessierten Öffentlichkeit besser zugänglich gemacht werden. Die Rede ist hier von einem zukünftigen Gebäude, für das es bislang zwar den Inhalt aber noch kein tragfähiges Fundament gibt.

Als fundamental gelten neben dem leistungs- und zukunftsfähigen Datenbanksystem vor allem ein adäquater Server (eher zentrales Hosting mit entsprechenden Voraussetzungen für Etablierung und Administration), eine personelle und technische Ausstattung zur Digitalisierung und Beschlagwortung (eher dezentral), eine finanzielle Ausstattung für Implementierung und Pflege sowie ein Höchstmaß an Widerspruchsfreiheit aus urheberrechtlicher Sicht.

Mit AgTecCollection, agrohist.de und dem Archivsystem Prillinger ist Pionierarbeit von unschätzbarem Wert geleistet worden. Die nächsten Arbeitsschritte sollten im Fachausschuss „Geschichte der Agrartechnik“ so koordiniert ablaufen, dass spätere Erweiterungs- und Verknüpfungsprobleme weitestgehend vermieden werden können.

Dabei wird auch eine Warenkorbfunktion mit Bezahlsystem für bestimmte Downloads erforderlich sein, wenn einerseits beim Nutzer des Digitalisats nicht nur rein wissenschaftliche Interessen bestehen und wenn zum anderen der Bereitsteller der Dateien nur auf diesem Wege seine Aufwendungen erstattet bekommen kann, z.B. als Privatperson oder als Traditionsverein.

Alte Bücher mit Zukunft

Das Landwirtschaftliches Wochenblatt Westfalen-Lippe baut im Landwirtschaftsverlag Münster-Hiltrup die „Westfälische Bibliothek der Landwirtschaft“ auf. Die Sammlung umfasst bereits rund 6000 Buchtitel zur Land-, Forst- und Hauswirtschaft aus sechs Jahrhunderten und erhält in der Villa Schencking am Landwirtschaftsverlag einen angemessenen Platz. Ein Anachronismus im Zeitalter der digitalen Medienpräsentation? Keineswegs!

„Die Bücherschätze sind Dokumente ihrer Zeit, und das sind sie nur im Original, nicht im digitalisierten Zustand. Denn es war das Originalbuch, das die Großeltern auf dem Hof im Münsterland gelesen (haben), …, das der Landwirtschaftslehrer den Bauern des Ruhrreviers in die Hand gedrückt hat.“ [10]

Bild 3: Bibliophile Schätze [10]

Figure 3: Bibliophilic Valuables [10]

Da ist noch etwas, das man nicht anklicken kann. Strotdrees nennt es die Aura, die besondere Ausstrahlung, die eine bibliophile Kostbarkeit zu verbreiten vermag, sobald man sie in die Hand nimmt. Psychologen bezeichnen es auch als haptische Wahrnehmung – eine Empfindung, durch die sich auch die Jahrbücher Agrartechnik in Buchform von der künftigen Online-Version abheben werden.

Kurzum: Digitalisierung ist nicht alles – aber ohne Digitalisierung ist alles bald nichts!

Literatur

[1] Hahn, J.: Wer sich der Geschichte nicht erinnert. Zeitschrift „Eilbote“ 21/2011, S. 15

[2] Auernhammer, H.: Agrartechnische Sammlung in mediaTUM – Stand und Ausblick.

In: Protokoll der Sitzung des FA „Geschichte der Agrartechnik“ des VDI/MEG vom 3./4.5.2012 in Wels/Wieselburg, Anlage 4

[3] Krombholz, K.: „Konzept für Aufbau und Betrieb der Website „agrohist.de“ für die Internetpräsentation agrargeschichtlicher Dokumente“. In: Protokoll der Sitzung des FA „Geschichte der Agrartechnik“ des VDI/MEG vom 3./4.5.2012 in Wels/Wieselburg, Anlage 5

[4] Baader, W.: Das FAHR-Landtechnik-Archiv. In: Baader, W.: DAS GROSSE FAHR-BUCH, S. 245, DLG-Verlags-GmbH Frankfurt a.M., 2005.

[5] Baader, W.: persönliche Mitteilung vom 13.6.2012

[6] Krombholz, K. Dokumente des FAHR-Archivs sind internetfähig. In: FAHR-Schlepperpost, Heft 01/2012, S.26/27

[7] Agrarhistorisches Archiv Karl Prillinger. In: Protokoll der Sitzung des FA „Geschichte der Agrartechnik“ des VDI/MEG vom 3./4.5.2012 in Wels/Wieselburg, Anlage 2

[8] N.N.: Ersatzteilspezialist Prillinger als VDI-Gastgeber. In: Agrartechnik Österreich – Informationsblatt für Landmaschinenbetriebe in Österreich, 6/2012, S.2-3

[9] Stögner, M.: Urheberrechtsfragen beim Umgang mit Sammlungen. In: Protokoll der Sitzung des FA „Geschichte der Agrartechnik“ des VDI/MEG vom 3./4.5.2012 in Wels/Wieselburg, Anlage 3

[10] Strotdrees, G.: Von gestern, für übermorgen - Westfälische Bibliothek der Landwirtschaft. Landwirtschaftliches Wochenblatt Westfalen-Lippe, 22/2012, S. 103

 

 

Bibliografische Angaben / Bibliographic Information

Empfohlene Zitierweise / Recommended Form of Citation

Hahn, Jürgen: Geschichte der Agrartechnik. In: Frerichs, Ludger (Hrsg.): Jahrbuch Agrartechnik 2012. Braunschweig: Institut für mobile Maschinen und Nutzfahrzeuge, 2012. – S. 1-7

Zitierfähige URL / Citable URL

http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00043483

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http://www.jahrbuch-agrartechnik.de/index.php/artikelansicht/items/110.html

Empfohlene Zitierweise:
Hahn, Jürgen: Geschichte der Agrartechnik. In: Frerichs, Ludger (Hrsg.): Jahrbuch Agrartechnik 2012. Braunschweig: Institut für mobile Maschinen und Nutzfahrzeuge, 2012. – S. 1-7

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