Beitrag in Jahrbuch 2021

Allgemeine Entwicklung Elektrische Hochleistungsschnittstelle zwischen Traktor und Anbaugerät

Kurzfassung:

Bisher übertragen Traktoren ihre Leistung überwiegend mechanisch und hydraulisch an Anbaugeräte. Landwirtschaftliche Arbeitsgeräte, die von elektrisch übertragener Energie angetrieben werden, bieten jedoch das Potential für einen höheren Automatisierungsgrad, höhere Präzision, effizientere Leistungsübertragung und besserer Steuerbarkeit. Mehrere Landtechnikfirmen arbeiten daher seit etwa zehn Jahren gemeinsam an einer elektrischen Hochleistungsschnittstelle, um elektrische Leistung von bis zu 150 kW zwischen Traktoren und Arbeitsgeräten unter Verwendung der vorhandenen ISOBUS-Kommunikation zu übertragen. Die Arbeit mündete im März 2018 bei der ISO in ein Standardisierungsverfahren.

Volltext

Allgemeine Beschreibung

Die ISO wird mit der Normenreihe „ISO 23316 Traktoren und Maschinen für die Land- und Forstwirtschaft – Elektrische Hochleistungsschnittstelle 700 V DC / 480 V AC“ sieben Konstruktions- und Anwendungsstandards zur Verfügung stellen, welche die Implementierung einer elektrischen Hochleistungsschnittstelle (HPI - High Power Interface) mit Gleich- oder Wechselstrom in der Landtechnik beschreiben.

Die Normenreihe ISO 23316 definiert die Schnittstelle zwischen einem Leistung liefernden Traktor oder landwirtschaftlichen Gerät I (Versorgungssystem) und einem Leistung konsumierenden Arbeitsgerät II (Verbrauchersystem), siehe Bild 1.

Sie beschreibt die elektrischen und mechanischen Vorgaben der Schnittstelle, und ist in Verbindung mit der Normenreihe ISO 11783, die das ISOBUS Kommunikationssystem beschreibt, zu verwenden.

Die Thematik einer 48 VDC Schnittstelle wird im AEF Projektteam „Medium Voltage Group PT12“ behandelt.

Bild 1: Elemente der Hochleistungsschnittstelle

Figure 1: Elements of the high performance interface

Physikalische Schnittstelle HPI

Der Steckverbinder für die Energieübertragung ist Teil des elektrischen Antriebssystems. Seine Funktion ist es, externe Arbeitsgeräte (Verbraucher) mit elektrischer Energie zu versorgen. Die einzelnen Pins in dem Steckverbinder sind auf einen Nennstrom von 200 A ausgelegt.

Es können auch mehrere HPI Steckverbinder am Fahrzeug installiert werden. Sie werden außen am Fahrzeug montiert und besitzen ein Gehäuse, das ausreichenden Schutz vor Umwelteinflüssen bietet und gegen elektromagnetische Störungen abschirmt. Sie verfügen über eine Kabelzugentlastung und gleichen einen kleinen Versatz von Stift und Buchse aus.

Bild 2: HPI-Steckverbinder am Traktor (links) und am Arbeitsgerät (rechts) [2]

Figure 2: HPI connector on tractor (left) and implement (right) [2]

 

Tabelle 1: Steckerbelegung [2]

Table 1: Pin assignment [2]

Sicherheitsanforderungen

Die elektrische Hochleistungsschnittstelle darf nur verwendet werden, wenn das Gesamtsystem die Sicherheitsanforderungen der „ISO 16230-1 Landmaschinen und Traktoren – Sicherheit von elektrischen und elektronischen Bauteilen und Systemen mit höherer Spannung – Teil 1: Generelle Anforderungen“ erfüllt.

Die HPI-Steckverbinder verfügen über Schutzfunktionen (Abreißschutz, Steckzustandserkennung, IP-Schutzklasse), die bei gewaltsamem Trennen die elektrischen Gefährdungen durch Beschädigung von Stromleiter und Steckverbinder minimieren.

Auch sind die HPI-Steckverbinder gegen Staub, Feuchtigkeit und Wasser bei Hochdruck- und Dampfstrahlreinigung gemäß IP6K7 und IP6K9K geschützt. Das Stromkabel besitzt einen für entsprechende Anwendungen typischen, standardisierten orangefarbenen Außenmantel und ist gemäß den Umgebungsbedingungen in der Landwirtschaft ausgelegt.

Eine Unterbrechung der Verbindung wird erkannt und die anliegende Spannung innerhalb einer Sekunde auf unter 60 V DC oder 30 V AC gesenkt.

Das elektrische System der Hochleistungsschnittstelle ist als IT-System nach IEC 60364‑1 ausgeführt.

Um Leistung aus Arbeitsgeräten abführen zu können, ist eine Umkehrung der Leistungsflussrichtung vom Arbeitsgerät zum Traktor möglich.

Für Traktoren und Arbeitsgeräte mit elektrischer Hochleistungsschnittstelle nach ISO 23316 müssen entsprechende Warnhinweise und Diagnoseintervalle in der Betriebsanleitung aufgeführt werden.

Der Standard Teil ISO 23316‑3 beschreibt Fehlerkategorien und Schutzmaßnahmen und enthält dazugehörige Spezifikationen.

Betriebsarten

Das Versorgungssystem (Traktor, Zapfwellengenerator, etc.) stellt die Leistung für angeschlossene Verbrauchersysteme in den einzelnen Betriebsarten bereit.

Falls das Gesamtsystem einen höheren Gesamtleistungsbedarf benötigt, steuert das Steuergerät des Versorgungssystems (HPI-MC) die Leistungsverteilung und den Lastausgleich.

Betriebsart AC (Wechsel-/Drehstrom)

Eine typische elektrische Wechsel-/Drehstromkonfiguration besteht aus einem 3-phasigen Umrichter auf der Seite des Versorgungssystems, welcher über einen HPI-Steckverbinder mit Wechsel-/Drehstromverbrauchern (AC-Last, ACL) und/oder Gleichstromverbrauchern (DC-Last, DCL) verbunden ist. Der grundlegende Aufbau sieht folgendes vor:

  • Der ISOBUS überträgt die anwendungsspezifische Kommunikation zwischen Traktor und Arbeitsgerät.
  • Hierfür sind die Controller HPI-MC (TECU) und der HPI-Client (Job Controller) über ISOBUS verbunden.
  • Der HPI-Feldbus überträgt die lastspezifische Kommunikation und überwacht die HPI-Steckverbindung.
  • Es sind neben reinen Wechsel-/Drehstrom-Konfigurationen (ACL) auch gemischte Konfigurationen (ACL und DCL) möglich.

Der Ausgangsspannungsbereich des Wechsel-/Drehstroms liegt zwischen 0 V AC und 480 V AC. Das untenstehende Bild zeigt mehrere mögliche Konfigurationen zur Einbindung von AC-Lasten und DC-Lasten.

Bild 3: Mehrverbrauchersystem in den Betriebsmodi AC und DC (Beispiel)

Figure 3: Multi-consumer system in AC and DC operating modes (example)

 

Der Umrichter (PC) stellt mehrere Betriebsarten zur Verfügung. Die Hochleistungsschnittstelle unterstützt sowohl Drehmoment- und Drehzahlregelungen (closed loop) als auch Spannung-Frequenz-Steuerung und variable DC-Chopper-Versorgung (open loop). Diese werden von Steuergeräten des Versorgungssystems oder des Verbrauchersystems ausgewählt.

Betriebsart DC (Gleichstrom)

Eine typische Gleichstromkonfiguration besteht aus einer elektrischen Stromversorgung mit Generator, Gleichrichter und Steuerung, die über einen Zwischenkreis Gleichstrom liefert, und mindestens einem Verbrauchersystem, das über eine HPI-Schnittstelle und ISOBUS verbunden ist. Das Systemschema ist in Bild 4 dargestellt.

Die Art der geregelten Verbrauchersysteme hängt von der jeweiligen Anwendung ab. Diese geregelten Verbraucher können aus verschiedenen Kombinationen von ohmschen, induktiven und kapazitiven Elementen bestehen. Gemeinsam sind die von dem Versorgungssystem bereitgestellte Ausgangsgleichspannung und die ISOBUS-Schnittstelle.

In der einfachsten Ausbaustufe ist nur ein Verbrauchersystem am Versorgungssystem angeschlossen. Das Verbrauchersystem kann aber auch mehrere unabhängige Geräte beinhalten.

Bild 4: Mehrverbrauchersystem im Betriebsmodus Gleichstrom (Beispiel)

Figure 4: Multi-consumer system in DC operating mode (example)

 

Das Bild 4 zeigt beispielhaft eine Konfiguration, wie mehrere Verbrauchersysteme an ein Versorgungssystem angeschlossen werden können. Jedes Verbrauchersystem benötigt einen eigenen HPI-Controller (ISOBUS Job Controller).

HPI-Kommunikation

Der ISOBUS ist die Basis für die Kommunikation zwischen dem Steuergerät des Versorgungssystems (HPI-MC) und den Steuergeräten der Verbrauchersysteme (HPI-C).

HPI-Steuerung durch das Arbeitsgerät

Der Steuergerät HPI-C übernimmt im Allgemeinen die Steuerung des elektrischen Systems. Die Regelungs- und Steuerparameter werden vom HPI-C über ISOBUS an den HPI-MC übertragen.

HPI-Steuerung durch den Traktor

Der Steuergerät HPI-MC übernimmt in speziellen Anwendungsfällen die Steuerung des HPI Systems. Die Regelungs- und Steuerparameter werden vom HPI-MC über ISOBUS an HPI-C übertragen. Ein Beispiel hierfür ist die Traktionsunterstützung durch das Arbeitsgerät für den Traktor.

Der in der HPI Schnittstelle integrierte HPI-Feldbus ist die direkte und schnelle Verbindung zwischen dem Versorgungssystem und dem Verbrauchersystem. Im Betriebsmodus AC ist er notwendig, im Betriebsmodus DC optional. Im AC-Modus überträgt er die lastspezifische Kommunikation für Identifikation und Rückmeldungen der AC-Last zur Regelung der elektrischen Leistung im Verbrauchersystem.

Die Kommunikation zwischen dem Versorgungssystem und dem Verbrauchersystem erfolgt nach dem in ISO 23316‑6 festgelegten Protokoll, welches Parameter und Signale für Initialisierung, Identifizierung, den laufenden Betrieb und das Abschalten definiert.

Mechanische Integration

Die HPI-Steckverbinder für den Traktor liegen bei Heckanbau über den Hydraulikanschlüssen und bei Frontanbau über dem Unterlenker-Kuppelpunkt. Ihr Anbau sollte im Rahmen der Angaben des untenstehenden Bildes erfolgen.

Eine genaue Steckverbinderposition festzulegen ist aufgrund der großen Vielfalt nicht möglich.

Bild 5: Anbauräume der HPI-Steckverbinder am Traktorheck und an der Traktorfront [7]

Figure 5: Mounting spaces of the HPI connectors at the rear and front of the tractor [7]

Zusammenfassung

Die siebenteilige Normenreihe ISO 23316 beschreibt die elektrische Hochleistungsschnittstelle für 700 V DC und 480 V AC zwischen Traktor und Arbeitsgerät. Diesen Standard haben Vertreter führender Traktorhersteller und Hersteller von Arbeitsgeräten erarbeitet. Diese Normenreihe wird einen wichtigen Beitrag leisten, um viele Arbeiten in der Landwirtschaft präziser und ressourcenschonender durchzuführen.

Literatur

ISO/CD 23316 Tractors and machinery for agriculture and forestry — Electrical high-power interface 700VDC/480VAC (Komitee-Entwurf)

[1]     ISO/CD 23316 Part 1: General description

[2]     ISO/CD 23316 Part 2: Physical interface

[3]     ISO/CD 23316 Part 3: Safety requirements

[4]     ISO/CD 23316 Part 4: AC operation mode

[5]     ISO/CD 23316 Part 5: DC operation mode

[6]     ISO/CD 23316 Part 6: Controls communication

[7]     ISO/CD 23316 Part 7: Mechanical integration

Autorendaten

Dr.-Ing. Hermann Buitkamp ist Referent für Digitalisierung und Standardisierung beim VDMA Landtechnik in Frankfurt.

Dipl.-Ing. (FH) Jürgen Rausch ist Entwicklungsingenieur für Fahrzeugelektrifizierung bei John Deere in Mannheim und Convenor der Arbeitsgruppe ISO/TC 23/SC 19/WG 9.

Empfohlene Zitierweise:
Buitkamp, Hermann; Rausch, Jürgen: Elektrische Hochleistungsschnittstelle zwischen Traktor und Anbaugerät. In: Frerichs, Ludger (Hrsg.): Jahrbuch Agrartechnik 2021. Braunschweig: Institut für mobile Maschinen und Nutzfahrzeuge, 2022. – S. 1-8

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