Beitrag in Jahrbuch 2022

Technik für Sonderkulturen Anwendung von Pflanzensensoren in digitalen Zwillingen

Kurzfassung:

Zerstörungsfreie Sensoren sind in der gartenbaulichen Forschung etabliert und werden in der Praxis beispielsweise in manuellen Qualitätsanalysen von Obst und Gemüse, Sortieranlagen, der Fruchtreifung und Lagerung eingesetzt. In aktuellen Forschungsarbeiten werden vorrangig hyperspektrale bildgebende Systeme sowie Laserscanner (monochrome und multispektral) hinsichtlich gartenbaulicher Anwendungen untersucht. Beide Sensorsysteme ermöglichen die Aufnahme von räumlich aufgelösten Daten. Für die Nutzung der digitalen Produktdaten in der Prozesssteuerung werden derzeit Konzepte im Bereich frischer, leichtverderblicher Lebensmittel entwickelt.

Volltext

Aktuelles zu zerstörungsfreien Sensoren

Im Präzisionsgartenbau hat die räumliche Variabilität in der Obst- und Gemüseproduktion an Interesse gewonnen. In den Anfängen des Präzisionsgartenbaus wurden Bodeneigenschaften mit hoher räumlicher Auflösung untersucht, z. B. durch Kartierung der scheinbaren elektrischen Bodenleitfähigkeit. Die so gewonnenen Bodenkarten können verwendet werden, um kleinräumige Unterschiede wie z. B. Sand- oder Tonlinsen auf dem Feld aufzuzeigen. Korrelationen zwischen dem Wachstum von Bäumen und der Fruchtqualität und den Bodeneigenschaften sind untersucht worden [1]. Klima- und Bodendaten sind Wachstumsfaktoren, können jedoch die individuelle Reaktion der Pflanzen nicht abbilden. Im Apfelanbau zeigte die Beziehung zwischen der Fruchtqualität und entscheidenden Pflanzenvariablen wie dem Blattflächenindex eine erhöhte Korrelation im Vergleich zum Einfluss des Bodens.

In den letzten Jahrzehnten wurden zahlreiche Pflanzensensoren entwickelt, die punktuelle Spektroskopie im sichtbaren und nahinfraroten Wellenlängenbereich zur Analyse der Wasser- und Kohlenhydratgehalte sowie hyperspektrale Bildgebungstechnologie zur Erweiterung der punktuellen spektral-optischen Analyse auf 2D-Informationen [2]; Raman-Spektroskopie zur Analyse von Carotinoiden und Kutikularwachsen; Lichtstreutechnologie zur Erkennung der Fruchtfleischfestigkeit und von Druckstellen; Röntgentechnologie für Strukturanalysen; Photogrammetrie zur Erkennung des Aussehens, der Frische und der Geometrie (Größe, Form) von Obst und Gemüse; Fluoreszenz-Bildgebungstechnologien zur Erkennung physiologischer Aspekte wie der Effizienz des Photosystems II; usw. Belegt durch die deutlich steigende Anzahl an internationalen Publikationen ist als neuer Trend die weiterentwickelte räumliche Analyse von Produktdaten zu beobachten. Hierbei wird die Variabilität, beispielsweise der Fruchtgröße, innerhalb einer Obstanlage oder in der individuellen Baumkrone erfasst. Dabei kann auch die Variabilität innerhalb der Frucht berücksichtigt werden, d. h. beispielsweise die Verteilung der Fruchtpigmente innerhalb einer einzelnen Frucht oder die Unterschiede innerhalb einer Partie, wenn mehrere Früchte zusammen gelagert oder verpackt werden.

Photogrammetrie, NDVI und hyperspektrale Bildgebung [2; 3] können angewandt werden, um räumlich-zeitlich aufgelöste Daten radiometrischer Variablen von Pflanzen zu gewinnen. In Raumkulturen sind darüber hinaus 3D Informationen notwendig. 3D-Punktwolken können beispielsweise mittels RGB-Kamera unter Verwendung von Structure-from-motion-Datenanalyse gemessen werden, um geometrische und radiometrische Pflanzendaten im Raum aufgelöst zu erhalten. Die größte Herausforderung bei photogrammetrischen Ansätzen sind nach wie vor die wechselnden Lichtverhältnisse aufgrund von Änderungen der Globalstrahlung, aber auch Abschattungseffekte innerhalb des Sprosses. In der Forstwirtschaft wurde der Einsatz von LiDAR-Sensoren (Light Detection and Ranging) zur Analyse von 3D Punktwolken bereits weiterentwickelt, um beispielsweise das Holzvolumen zu schätzen. Die LiDAR-Technologie mit aktiver Lichtquelle scheint für die Messung von Pflanzengeometrien mit hoher Genauigkeit auch im Feld geeignet zu sein [4]. Außerdem ermöglicht die Anwendung von LiDAR bei zwei (oder mehr) Wellenlängen die Analyse radiometrischer Informationen. Hierbei kann der NDVI oder andere Vegetationsindizes zur Messung des Pigmentgehalts von Pflanzen räumlich aufgelöst ermittelt werden. Dies wurde kürzlich für den chlorophyllbezogenen NDVI von Äpfeln in einer Obstanlage gezeigt [5].

Mit Hilfe von 3D-Punktwolken, die mit LiDAR-Technologien gewonnen werden, können auch im Nacherntebereich Messungen auf der Ebene einzelner Früchte vorgenommen werden [5; 6]. Die Informationen können für die Modellierung der Qualitätsveränderung von Gartenbauerzeugnissen vor und nach der Ernte verwendet werden, um die Versorgungskette zu optimieren und Lebensmittelverschwendung zu vermeiden.

Implementierung der Pflanzendaten in gartenbauliche Prozesse

Die aus geringer Distanz (remote) installierten Sensoren können in der Produktion mit verschiedenen Fahrzeugen wie Traktoren, autonom fahrenden Robotern, Drohnen, Förder- oder Kransystemen durch die Obstanlage oder über das Feld bewegt werden. Die Wahl der Plattform richtet sich nach den erforderlichen räumlichen und zeitlichen Auflösungen der Pflanzeninformationen, z. B. Bewässerung, Düngung, Pflanzenschutz, Erntemanagement. Die Datenübertragung ist, wie bei Wetterstationen, über GSM, lokale Netzwerke wie LORA oder im Nacherntebereich auch kabelgebunden technisch realisierbar.

Bei der Nacherntereifung von Früchten können Sensoren stationär an zufällig ausgewählten Früchten platziert werden, z. B. zur Überwachung der Fruchtreifung im Lager mittels Fluoreszenzanalyse nach dem Konzept der dynamischen kontrollierten Atmosphäre (D-CA) [7]. Die D-CA-Entwicklung bietet eine Rückkopplung entsprechend der Reaktion der Frucht, um den Sauerstoffpartialdruck in der Lagereinrichtung anzupassen. Mit diesem Ansatz wird ein digitaler Schatten, das heißt eine aktuelle Beschreibung des gartenbaulichen Produktes, erzeugt. Die Atmosphäre im Lagerraum wird entsprechend den Bedürfnissen der Früchte gesteuert. Die Apfellagerung mittels D-CA stellt eine nachhaltige Option zur Anpassung der Lagerbedingungen an die Reaktion der Früchte und zur Verlängerung der Lagerzeit bei gleichzeitiger Vermeidung von Lebensmittelabfällen dar. In Deutschland bietet Frigotec ein noch neues Smart Ripe System für die Bananenreifung an. Hierbei wird die Möglichkeit geboten Daten von Gassensoren und optisch gemessene Pigmentveränderungen der Früchte für die Steuerung der Bananenreifung zu nutzen. Mit Hilfe der Produktdaten können Lagerungs- und Reifungsprozesse überwacht und gesteuert werden. Die Daten können weiterhin für die Rückverfolgbarkeit der leicht verderblichen Produkte genutzt werden [8]. Der in den Beispielen durch Fruchtsensordaten erzeugte digitale Schatten stellt ein Entscheidungsunterstützungssystem dar.

Die nächste Stufe der Gestaltung von gartenbaulichen Prozessen würde durch den Einsatz von zerstörungsfreien Sensoren in digitalen Zwillingen erreicht. Weltweit werden aktuell Forschungsprogramme entwickelt, um Sensordaten und Pflanzeninformationen in digitalen Zwillingen zu nutzen, die virtuelle Repräsentanten der Pflanze oder Frucht sind, die mit Hilfe von entsprechenden Pflanzen- oder Fruchtmodellen beschrieben werden. Die Integration von analogen und digitalen Sensordaten im Rahmen eines digitalen Zwillings wurde bereits angestrebt [8; 9]. Insbesondere die Transport- und Reifungsprozesse von Bananen wurden mit multispektralen Punktsensoren und LiDAR-Laserscannern bei zwei Wellenlängen überwacht, um chlorophyllbezogene Informationen zu gewinnen [5; 9].

 

Der Mehrwert der digitalen Zwillinge liegt in ihren Fähigkeiten:

  • Der Durchführung von Simulationen. Simulationen können die Auswahl von Sensoren rationalisieren, indem sie die Ergebnisse der gewonnen Pflanzendaten mit verschiedenen Sensorkonfigurationen, beispielsweise der Wellenlängenauflösung, simulieren.
  • Anpassung der Prozessparameter auf der Basis der Sensordaten mit dem Ziel, Fehler zu vermeiden, die zu ressourcenineffizientem Produktionsmanagement oder Lebensmittelverschwendung führen können.
  • Vorhersage der spezifischen Entwicklung einer Produktpartie. Eine solche Vorhersage ermöglicht die gezielte Optimierung der Wertschöpfungskette dieser bestimmten Obstpartie, z. B. im Rahmen von digitalen Zwillingen. Auch konzeptionelle Arbeiten könnten mit Hilfe von Simulationen innerhalb bestimmter, theoretischer Grenzen durchgeführt werden, wenn alle Faktoren bekannt sind.

Da es zum heutigen Wissensstand nicht ausreicht eine Pflanzenvariable für die Prozessmodellierung zu nutzen, ist der Big Data Ansatz das Mittel der Wahl. Geschätzt wurde, dass 50 GByte Daten während einer Saison in einer Produktionsanlage aufgezeichnet werden [10]. Tatsächlich wurde bei der Messung der Temperaturverteilung in den Baumkronen von Apfelbäumen im Jahr 2022 bereits 1 TByte "erreicht" [5]. Die Datenmengen können jedoch durch Edge Computing ressourceneffizienter reduziert werden, was in einigen Projektkonsortien derzeit erprobt wird. Auf die Ergebnisse der kommenden zwei Jahre darf man gespannt sein.

Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass zerstörungsfreie, in-situ-Sensoren die Voraussetzung dafür sind, objektive Informationen über Obst und Gemüse zu erhalten, um komplexere Maschinen (Roboter) zu entwickeln und die physiologischen Prozesse von Pflanzen und Ernteprodukt zu modellieren, mit dem Ziel die Prozesssimulation und -regelung zu erreichen. Die Abbildung der räumlichen und chargenbezogenen Variabilität ist mit den teilweise neu entwickelten Sensorsystemen technisch möglich. Der Aufbau der Daten-Pipeline und Integration von Modellen, beispielsweise für Simulationen der physiologischen Reifung und Haltbarkeitsvorhersagen werden aktuell angepasst, so das der Digitale Zwilling ein fortschrittliches Werkzeug zur Verringerung von Lebensmittelverlusten in der Nachernte-Lieferkette von Obst und Gemüse darstellt.

Literatur

[1]     Tsoulias, N.; Xanthopoulos, G.; Fountas, S.; Zude-Sasse, M.: Effects of soil ECa and LiDAR-derived leaf area on yield and fruit quality in apple production. Biosystems Engineering 223 (2022), DOI: https://doi.org/10.1016/j.biosystemseng.2022.03.007,    S. 182-199.

[2]     Rubo, S.; Zinkernagel, J.: Exploring hyperspectral reflectance indices for the estimation of water and nitrogen status of spinach. Biosystems Engineering 214 (2022), DOI: https://doi.org/10.1016/j.biosystemseng.2021.12.008, S. 58-71.

[3]     Wieme, J.; Mollazade, K.; Zude-Sasse, M.; Malounas, I.; Zhao, M.; Gowen, A.; Argyropoulos, D.; Fountas, S.; Van Beek, J.: Application of Hyperspectral Imaging Systems and Artificial Intelligence for Quality Assessment of Fruit, Vegetables and Mushrooms: A Review. Biosystems Engineering 222 (2022), DOI: https://doi.org/10.1016/j.biosystemseng.2022.07.013, S. 156-176.

[4]     Straub, J.; Reiser, D.; Lüling, N.; Stana, A.; Griepentrog, H.W.: Approach for graph-based individual branch modelling of meadow orchard trees with 3D point clouds. Precision Agriculture 23 (2022), DOI: https://doi.org/10.1007/s11119-022-09964-6.

[5]     Tsoulias, N.; Saha, K.K.; Zude-Sasse, M.: In-situ fruit analysis by means of LiDAR 3D point cloud of normalized difference vegetation index (NDVI). Computers and Electronics in Agriculture 205 (2023), 107611, DOI: https://doi.org/10.1016/j.compag.2022.107611.

[6]     Saha, K.K.; Zude-Sasse, M.: Estimation of chlorophyll content in banana during shelf life using LiDAR laser scanner. Postharvest Biology and Technology 192 (2022), DOI: https://doi.org/10.1016/j.postharvbio.2022.112011.

[7]     Brizzolara, S.; Santucci, C.; Tenori, L.; Hertog, M.; Nicolai, B.; Stürz, S.; Zanella, A.; Tonutti, P.: A metabolomics approach to elucidate apple fruit responses to static and dynamic controlled atmosphere storage. Postharvest Biology and Technology 127 (2017), DOI: https://doi.org/10.1016/j.postharvbio.2017.01.008.

[8]     Onwude, D.I.; Chen, G.N.; Eke-emezie, N.; Kabutey, A.; Khaled, A.Y.; Sturm, B.: Recent Advances in Reducing Food Losses in the Supply Chain of Fresh Agricultural Produce. Processes 2020, 8(11), 1431, DOI: https://doi.org/10.3390/pr8111431.

[9]     Jedermann, R.; Lang, W.: Wrapper functions for integrating mathematical models into digital twin event processing. Sensors 22:7964 (2022), DOI: https://doi.org/10.3390/s22207964.

[10]   Kayad, A.F.; Sozzi, M.; Paraforos, D.S.; Rodrigues Jr.; Francelino, A.; Cohen, Y.; Fountas, S.; Medel-Jimenez, F.; Pezzuolo, A.; Grigolato, S.; Marinello, F.: How many gigabytes per hectare are available in the digital agriculture era? A digitization footprint estimation. Computers and Electronics in Agriculture 198: AR 107080 (2022), DOI: https://doi.org/10.1016/j.compag.2022.107080.

Autorendaten

Dr. habil. Manuela Zude-Sasse ist Arbeitsgruppenleiterin "Präzisionsgartenbau" am Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie e.V. (ATB) in Potsdam.

Empfohlene Zitierweise:
Zude-Sasse, Manuela: Anwendung von Pflanzensensoren in digitalen Zwillingen. In: Frerichs, Ludger (Hrsg.): Jahrbuch Agrartechnik 2022. Braunschweig: Institut für mobile Maschinen und Nutzfahrzeuge, 2023. – S. 1-6

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