Beitrag in Jahrbuch 2019

Allgemeine Entwicklung 1919/2019 – 100 Jahre Normung für Landwirtschaft & Landtechnik

Kurzfassung:

Die landtechnische Normung hat Entwicklungen in Landtechnik und Landwirtschaft über 100 Jahre mitgeprägt. Erfolge der Vergangenheit (und der Zukunft) sind der Bereitschaft und Überzeugung aller Beteiligten zu verdanken, dass die Regeln für einen sicheren und wirtschaftlichen Maschineneinsatz gemeinsam (und international) erarbeitet werden und Entscheidungen sich immer am Nutzen für den Endkunden messen lassen müssen. Im Laufe der Zeit haben sich die Schwerpunkte in der Normung verlagert. Ursprünglich standen Typenvielfalt und Qualität im Vordergrund, daran schloss sich die Normung von mechanischen, hydraulischen und elektronischen Schnittstellen an. Mit der Entstehung des europäischen Binnenmarktes rückten Normen zur Konkretisierung von EU-Richtlinien in den Vordergrund. Nachdem diese Phase mit der Veröffentlichung einer Vielzahl von EN ISO-Normen weitgehend abgeschlossen ist, muss sich die Normung auf vernetzte und autonome Maschinen und Prozesse konzentrieren, um gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen gerecht zu werden.

Volltext

Einleitung

Normung ist ein Instrument zur Beschreibung des anerkannten Standes der Technik in einzelnen Sachgebieten und zeichnet sich durch die Einbeziehung aller interessierten Kreise und konsensbasierten Entscheidungen aus. Im Vordergrund der landtechnischen Normung stehen einheitliche Schnittstellen zwischen Maschinen, aber zunehmend auch zwischen Prozessschritten in der Landwirtschaft und der sichere, umweltgerechte und wirtschaftliche Maschineneinsatz. Über 230 Experten aus Landtechnikindustrie, Landmaschinenhandel, landwirtschaftlichen Organisationen, Beratung, Forschung und Lehre stellen sich dieser Gemeinschaftsaufgabe, bringen ehrenamtlich ihr Know-how in die Gremien der Normengruppe Landtechnik NLA ein und gestalten damit auch die europäischen und internationalen (technischen) Regeln für Landmaschinen und Traktoren maßgeblich. Die Normung in der Landtechnik kann auf eine lange, erfolgreiche Geschichte zurückblicken und ist jetzt gefordert, Industrie und Landwirtschaft bei der Entwicklung und Anwendung von digitalen Produkten und Dienstleistungen zu unterstützen. Erfolge der Vergangenheit und künftige Herausforderungen werden im Folgenden skizziert.

Organisatorische Entwicklung

1919 wurde der Normenausschuss Landmaschinen-Industrie NALMI als Zweigorganisation des Normenausschusses der Deutschen Industrie (NADI) gegründet. Zur gleichen Zeit war auch der Fachnormenausschuss des VDI aktiv und die DLG gründete 1924 ihren Normungs- und Typisierungsausschuss. 1930 wurde der NALMI mit dem Normenausschuss Landwirtschaft vereint und Hersteller und Anwender arbeiteten gemeinsam an den Normen. Die Normungsergebnisse wurden als Normen „DIN-Land“ veröffentlicht [1].

Da der Normenausschuss Landwirtschaft offenbar auf Grund seiner Größe und Themenbreite schwer handhabbar war, wurde 1938 und 1939 jeweils ein eigenständiger Fachnormenausschuss für Zugmaschinen und Landmaschinen gegründet. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde dann nach einer kurzen Übergangsphase am 1. Oktober 1949 die Normengruppe Landmaschinen und Ackerschlepper NLA mit den Vorsitzenden Prof. Dr. Knolle (Fa. Lanz) und Dr.‑Ing. Wilfried Fahr (Fa. Fahr) gegründet [2]. 2000 erfolgte die Umbenennung in die Normengruppe Landtechnik NLA, die bis heute mit einem eigenen Vorstand und Beirat sowie sechs technischen Ausschüssen und einer Vielzahl von Arbeits- und Projektgruppen für die internationale, europäische und nationale Normung im Auftrag des DIN zuständig ist (Bild 1).

Bild 1: Organisationen der landtechnischen Normung

Figure 1: Standards bodies for agricultural machinery

Inhaltliche Schwerpunkte

Inhaltlich standen zu Beginn der Normungsarbeiten für Landmaschinen und Traktoren die Reduzierung der Typenvielfalt und die Qualität im Sinne von Gebrauchstauglichkeit im Vordergrund. Beispiele sind die Normen für Räder von landwirtschaftlichen Fahrzeugen und Bodenbearbeitungswerkzeuge. Die erste Norm zur Definition einer Schnittstelle zwischen Traktor und Gerät entstand 1940 mit der ersten Ausgabe von DIN 9611, die das sechsteilige Keilwellenprofil für die Schlepperzapfwelle und eine Normdrehzahl von 540 1/min. festlegte. Die Schwerpunkte der Normungsarbeiten von 1950 bis 2000 werden von dem langjährigen Geschäftsführer der NLA, Wolfgang Plate, folgendermaßen zusammengefasst [2]:

  • 1950 bis 1959: Typenreduzierung, Rationalisierung und Geräteanbau
  • 1960 bis 1969: Austauschbarkeit, Gebrauchstauglichkeit, Beginn der ISO-Arbeit
  • 1970 bis 1979: Ergonomie, Arbeitsschutz, Auswirkung der internationalen Normung
  • 1980 bis 1989: Aktualisierung, Schnittstellen, ISO-Umsetzung
  • 1990 bis 2000: Europäische Normen, Elektronik, Systembetrachtung

Wichtige Entwicklungsschritte für die einzelnen Normungsbereiche sind in Bild 2 dargestellt.

Bild 2: Beispiele wichtiger Entwicklungen

Figure 2: Examples of important developments

 

Aus heutiger Sicht sind folgende Jahre von besonderer Bedeutung:

  • 1952: Teilnahme einer deutschen Delegation an einer ISO-Sitzung. Das zunächst nur für Landmaschinen zuständige Komitee ISO/TC 23 wurde 1952 gegründet; Traktoren waren ursprünglich den Kraftfahrzeugen (TC 22) zugeordnet und wurden später in das TC 23 integriert.
  • 1968/1969: Das Gesetz über technische Arbeitsmittel und die damit in unmittelbarem Zusammenhang stehende Gründung des Arbeitskreises Technik AKT der damaligen LAV (Landmaschinen- und Ackerschlepper-Vereinigung) markieren den Beginn der sicherheitstechnischen Normung für die Landtechnik. Landtechnikindustrie und landwirtschaftliche Berufsgenossenschaften erarbeiteten gemeinsam die sog. Fachbereichsnormen, deren sicherheitstechnische Anforderungen wichtige Beiträge für die harmonisierten Europäischen Normen der 1990er Jahre leisteten und letztlich auch in der ab 1999 wieder verstärkten Entwicklung von internationalen Sicherheitsnormen (EN ISO-Normen) Bestand hatten bzw. haben.
  • 1986: Gründung der Arbeitsgruppe „Elektronische Schnittstellen“, die zunächst eine Punkt-zu-Punkt-Verbindung zur Signalübertragung vom Traktor auf das Gerät definierte und in einem zweiten Schritt das „Landwirtschaftliche BUS-System“ – dem Vorgänger des heutigen ISOBUS – zur Datenübertragung zwischen Traktor und Gerät normte.
  • 2008: Gründung der „Agricultural Industry Electronics Foundation“ (AEF). Die internationale Herstellerplattform verfolgt die Zielsetzung, die Elektronikanwendung in Landtechnik und Landwirtschaft zu fördern, indem sie auch Normungsbedarf identifiziert, Normvorschläge für ISO vorbereitet und insbesondere die Anwendung von Standards unterstützt und begleitet.

Heute stehen für die Landtechnik rund 400 internationale (ISO) und 100 Europäische (EN) Normen zur Verfügung, die insbesondere die Bereiche Schnittstellen, Arbeits- und Umweltsicherheit abdecken, zur Verfügung. Die Herausforderung für die ca. 82 landtechnischen Normungsgremien bei ISO, CEN und NLA besteht damit darin, das vorhandene Normenwerk ständig aktuell zu halten und gleichzeitig den neuen Normungsbedarf aufzugreifen. Der Aktualisierungsbedarf steht im Zusammenhang mit der zunehmenden Komplexität von Landmaschinen und Traktoren sowie den steigenden gesellschaftlichen Anforderungen in puncto Arbeits- und insbesondere Umweltsicherheit. Der zusätzliche Normungsbedarf resultiert vor allem aus der „Digitalisierung“ der Landwirtschaft. War unter dem Begriff „Systembetrachtung“ [2] insbesondere die funktionale Einheit von Traktor und Gerät zu verstehen, muss heute das „System“ viel weitergehender verstanden werden (Bild 3 und 4). Neben den bisherigen Schnittstellen Traktor/Maschine-Gerät/Maschine-Farmmanagement müssen herstellerübergreifende Lösungen für „Cloud“- und „Cloud-to-Cloud“-Kommunikation geschaffen werden, um den bisherigen Anspruch, dem Anwender/Kunden die freie Wahl zwischen Anbietern zu ermöglichen, aufrecht erhalten zu können. Daraus resultiert auch, dass weitere Anbieter von digitalen Produkten und Dienstleister in die Arbeiten eingebunden und Fragen z. B. in den Bereichen Datenhoheit & -sicherheit, „Cyber security“ bis hin zur Anwendung von künstlicher Intelligenz in der Landwirtschaft beantwortet werden müssen. Die Vorreiterrolle der Landtechnik bei der Digitalisierung erfordert auch in diesen Bereichen eigene und vor allem schnelle Antworten.

Bild 3: Schnittstellen Traktor/Gerät [3]

Figure 3: Tractor implement interfaces [3]

Bild 4: Netzwerk eines landwirtschaftlichen Betriebes (Beispiel) [4]

Figure 4: Network of an agricultural operation (example) [4]

Erfolgsfaktoren der landtechnischen Normung

Die landtechnische Normung zeichnet sich – von Anfang an bis heute – insbesondere durch zwei Merkmale aus.

  • Fokussierung auf den Nutzen beim Endkunden „Landwirt“ unter Berücksichtigung von gesellschaftlichen/gesetzlichen Anforderungen: „Normung“ ist ein Produkt und kann auf Dauer nur erfolgreich sein, wenn es Nutzen stiftet und zur Wertschöpfung beiträgt. Der Nutzen beim Endkunden ist ausschlaggebend, um Akzeptanz zu erreichen. Organisationsinteressen sind nachvollziehbar, dürfen die übergeordnete Zielsetzung aber nicht in Frage stellen.
  • Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen: Normung ist nicht nur eine Gemeinschaftsaufgabe, sondern erfordert auch den Input/die Kompetenz aller Anspruchsgruppen („Stakeholder“), um bedarfsgerechte und hochwertige Normen bereitzustellen. Die Zusammenarbeit mit den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften und DLG begann z.B. mit den 1922 in Kraft getretenen Unfallverhütungsvorschriften. Mitte der 50er Jahre wurde die Zusammenarbeit auf ISO-Ebene begonnen und insbesondere durch die international tätigen Unternehmen gefördert. Die Digitalisierung erfordert die Einbeziehung neuer Partner, um deren zusätzliche Expertise und Ressourcen zu nutzen und geeignete Standards rechtzeitig zur Verfügung zu stellen.

Kundennutzen und Zusammenarbeit waren die treibenden Kräfte in der Vergangenheit und sind auch in der Zukunft zwingend, um Landwirtschaft und Landtechnik durch bedarfsgerechte Normen zu unterstützen.

Zusammenfassung

Die landtechnische Normung hat die Entwicklung der Landtechnik und Landwirtschaft erfolgreich über 100 Jahre begleitet. Die freie Austauschbarkeit zwischen Traktor und Gerät und damit die Entscheidungsfreiheit des Kunden, „Landwirt“, sind in hohem Maße auch der Normung und damit der Vielzahl von ehrenamtlichen Experten zu verdanken. Normen in dem Bereich der Arbeits- und Umweltsicherheit konkretisieren europäische, gesetzliche Vorgaben und tragen zu einer internationalen Harmonisierung bei. Die zunehmende Herausforderung für die Normung besteht darin, das umfangreiche europäische und internationale Normenwerk laufend zu aktualisieren und gleichzeitig dem insbesondere durch die Digitalisierung der Landwirtschaft ausgelösten, zusätzlichen Normungsbedarf gerecht zu werden.

 

 

 

 

 

Literatur

[1]     Meier, F.: Einhundert Jahre für die Landtechnikindustrie. Frankfurt am Main: Maschinenbau-Verlag 1997, S. 92-93.

[2]     Plate, W.: Die Normung der Landtechnik im vierzigjährigen Rückblick. In: Jahrbuch Agrartechnik 1989. Frankfurt am Main: Maschinenbau-Verlag 1989, S. 18-22.

[3]     Plate, W.: Normung bei Landmaschinen und Traktoren. In: Jahrbuch Agrartechnik 1988 (1988). Frankfurt am Main: Maschinenbau-Verlag 1988, S. 25-27.

[4]     VDMA: Positionspapier 15/2016 „Landwirtschaft 4.0 – Verständnis, Ziele und Handlungsbedarf aus Sicht der Landtechnikindustrie“. Frankfurt am Main 2016.

Autorendaten

Dipl.-Ing. agrar Norbert Alt arbeitet beim VDMA Landtechnik in Frankfurt am Main.

Empfohlene Zitierweise:
Alt, Norbert: 1919/2019 – 100 Jahre Normung für Landwirtschaft & Landtechnik. In: Frerichs, Ludger (Hrsg.): Jahrbuch Agrartechnik 2019. Braunschweig: Institut für mobile Maschinen und Nutzfahrzeuge, 2020. – S. 1-8

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