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Traktoren Fahrdynamik - Fahrsicherheit - Fahrerplatz

Kurzfassung:
Assistenten und Zusatzfunktionen, die mit Hilfe zusätzlicher Sensoren oder Aktoren die Fahrdynamik sowie die Fahrsicherheit aber auch die Bedienbarkeit von Traktoren verbes-sern, stehen in diesem Jahr im Vordergrund. Es ist zu erwarten, dass dieser Trend anhält. Nach wie vor werden Systeme zur Reduktion von Ganzkörpervibrationen untersucht und auch die Verfahren zur Bewertung der Schwingungen zeigen noch Forschungsbedarf.
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Jahrbuch Agrartechnik 2016

Traktoren

Fahrdynamik - Fahrsicherheit - Fahrerplatz

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Fahrdynamik - Fahrsicherheit - Fahrerplatz

Jan Krüger, Henning Jürgen Meyer,

Fachgebiet Konstruktion von Maschinensystemen, Technische Universität Berlin

Kurzfassung

Assistenten und Zusatzfunktionen, die mit Hilfe zusätzlicher Sensoren oder Aktoren die Fahrdynamik sowie die Fahrsicherheit aber auch die Bedienbarkeit von Traktoren verbes-sern, stehen in diesem Jahr im Vordergrund. Es ist zu erwarten, dass dieser Trend anhält. Nach wie vor werden Systeme zur Reduktion von Ganzkörpervibrationen untersucht und auch die Verfahren zur Bewertung der Schwingungen zeigen noch Forschungsbedarf.

Schlüsselwörter

Fahrsicherheit, Fahrkomfort, Traktionswirkungsgrad, Fahrerassistenzsysteme

Ride Dynamics - Ride Safety - Driver's Place

Jan Krüger, Henning Jürgen Meyer,

Fachgebiet Konstruktion von Maschinensystemen, Technische Universität Berlin

Abstract

Digital assistants and additional features with new sensors and actuators help to improve the ride dynamics as well as ride safety. They can also improve the usability of tractors for the operator. It can be assumed that this trend will continue. Systems which reduce whole body vibration as well as methods for comfort evaluation are still in the focus of current research

Keywords

Ride safety, driving safety, tractive efficiency, driver assistance systems

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Fahrdynamik

Auch die bereits seit vielen Jahrzehnten bekannten Grundlagen der Fahrdynamik von Trak-toren und insbesondere ihr Zusammenspiel stehen im Fokus aktueller Untersuchungen. Ziel einer Veröffentlichung von Keen ist es, die Mechanik der Traktion von Traktoren zu untersu-chen. Es werden dabei eine Vielzahl von Einflussparametern betrachtet [1]. Dazu gehören die Kräfte am Anbaugerät, die Kraftübertragung zwischen Anbaugerät und Traktor, die An-kupplungspunkte, eine Traktionsvorhersage, die Bestimmung des Traktionswirkungsgrads, der Einfluss von hinterrad- oder allradgetriebenen Traktoren sowie die Feldbefahrungsstra-tegie. Um den Traktionswirkungsgrad zur maximieren, muss das Zusammenwirken dieser Faktoren mit Hilfe von Modellen nachgebildet werden.

Bild 1: Modelle zur Bestimmung des Traktionswirkungsgrades von Traktoren [1]

Figure 1: Models to determine the tractive efficiency of agricultural tractors [1]

Nach Keen sind dafür die folgenden vier Modelle notwendig (siehe Bild 1):

• ein Model, welches die Kinematik sowie die Kräfte der Verbindung zwischen Gerät und Traktor berücksichtigt und die vertikalen sowie die Zugkräfte des Anbaugeräts bestimmt

• ein Vorhersagemodell für die Anbaugerätekräfte, mit welchem aktuelle Bodenpara-meter geschätzt werden können

• ein Traktionsvorhersage- und Auswertungsmodel, das die aktuelle Traktionssituation bestimmt

• ein Regelungsmodell, das die ersten drei Modelle verbindet und mit Echtzeitmessda-ten kombiniert, um die fahrzeugführende Person mit Informationen zu versorgen bzw. automatisch notwendige Einstellungen vorzunehmen, um den Traktionswirkungsgrad zu erhöhen.

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Durch neue Ansätze bei der Elektrifizierung bzw. Teilelektrifizierung kann die Fahrdynamik darüber hinaus gezielt angepasst werden. Verschiedene Antriebsstrangkonzepte von Woo-pen betrachten besonders die Möglichkeit eines adaptiven Vorderradantriebes für Traktoren durch Leistungssummierung von mechanischer und zusätzlicher elektrischer Leistung [2]. Dies kann entweder vor dem Vorderachsdifferenzial (z.B. statt der Lamellenkupplung durch Einsatz eines Planentengetriebes) oder zwischen Differenzial und Abtrieb erfolgen. Vorteil-haft ist, dass der Vorlauf der Vorderachse bzw. der einzelnen Vorderräder situationsspezi-fisch angepasst werden kann. Dies ist beispielsweise bei Kurvenfahrten sinnvoll, da hierbei verschiedene Radgeschwindigkeiten nicht nur an kurveninnerem und kurvenäußerem Rad auftreten, sondern auch zwischen Hinter- und Vorderachse, da beide auf verschiedenen Kurvenradien fahren. Es wäre auch denkbar, die Aufgabe des Differenzials durch die Zu-satzantriebe zu übernehmen. Weitere Möglichkeiten sind die Schlupfverstellung am Vorder-rad zur Traktionserhöhung, die Möglichkeit der Reduktion des Reifenabriebs, ein zusätzli-ches elektrisches Abbremsen bei gleichzeitiger Rekuperation, z.B. bei Bergabfahrt im Schubbetrieb, die Möglichkeit einer elektrischen Boost-Funktion, die Erhöhung der Fahrstabi-lität und des Fahrkomforts durch Beeinflussung des Eigenlenkverhaltens sowie eine Minde-rung der Schaltschläge bei Zugkraftunterbrechung während des Schaltvorgangs.

Eine Alternative zur Erhöhung der Traktion sind Raupenlaufwerke. Diese können für einige Fahrzeugmodelle auch anstelle der Räder nachgerüstet werden. Morlari et al. vergleichen diese mit einem Fahrzeug, welches über herkömmliche Räder verfügt [3]. Unterschiedliche Einflüsse auf die Traktion sowie die Bodenverdichtung von Raupenlauwerken werden be-leuchtet. Auf einem Lehm-Ton-Boden konnte für die Raupenlaufwerke ein besserer Trakti-onswirkungsgrad und eine geringere Bodenverdichtung erzielt werden. Der Kraftstoffver-brauch wurde um bis zu 20 % reduziert. Die Fahrdynamik von Raupenlaufwerken wird auch von Cook et al. mit Hilfe eines Simulationsmodells betrachtet [4]. Dabei wird der Einfluss ei-ner auf einem Schlitten gezogenen schweren Last an einem Skid-Steer-Traktor mittels Mehrkörpersimulation nachgebildet. Das Modell erweitert eine bereits vorhandenes und be-rücksichtigt auch die hohen auftretenden Schlupfwerte. Es kann als Grundlage für autonom fahrende Fahrzeuge in abgelegenen Regionen dienen.

Fahrerplatz

Fahrkomfort

Mit der Herausforderung, wie guter Fahrkomfort bewertet werden kann, befasst sich eine Veröffentlichung von Langer et al [5]. Nach aktuellem Stand wird in der Regel die ISO 2631-1 zur Komfortevaluation verwendet [6]. Problematisch ist nach Langer insbesondere die gerin-ge Bewertung von Frequenzen bis 1 Hz. In diesem Bereich liegt die Eigenfrequenz der Nick-schwingung einiger Traktoren. Diese Schwingungen sind zwar kaum schädigend und für das direkte menschliche Komfortempfinden weniger relevant, können jedoch zu Bewegungs-krankheit führen Daher wird ein Komfortkriterium speziell für Nickschwingungen vorgeschla-gen. In Anlehnung an die ISO 2631-1 wird ein Effektivwert der Drehbeschleunigung um die Traktorlängsachse bestimmt. Zuvor wird die gemessene Beschleunigung mit einem 5 Hz Tiefpassfilter bewertet. Tests mit einem CLAAS Xerion 5000 mit aktiver Nickschwingungs-

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dämpfung wurden auf einem ISO 5008 Smoother Track durchgeführt wobei ein Fahrzeug ohne Anbaugerät um 25 % verbesserte Nickschwingungswerte erzielen kann. Mit Anbauge-rät liegen die Verbesserungen sogar bei 32 % wie Bild 2 zeigt.

Bild 2: Vergleich von Nickschwingungen mit und ohne aktiver Dämpfung [5]

Figure 2: Comparison of pitching oscillation with and without active damping

Mit Hilfe eines Simulationsmodells untersuchen Sharma et al. das Zusammenspiel von Achs- und Kabinenfederung für ein passiv gefedertes Fahrzeug [7]. Die Ergebnisse zeigen eine Reduktion der Schwingungsbelastung, wenn eine Kabinenfederung zusätzlich zur Achsfede-rung verwendet wird. Auch Krüger und Meyer betrachten eine Kombination aus Kabinen- und Achsfederung. Zunächst wird der Konflikt zwischen Fahrsicherheit und Fahrkomfort, der auch mit semi-aktiver Skyhook- bzw. Groundhook-Regelung auftritt, aufgezeigt. Ein kombi-nierter Ansatz, bei dem die Regelung der Kabinenfederung hinsichtlich Fahrkomfort optimiert ist, während die Achsfederung die Radlastschwankungen reduziert, zeigt, dass die Kombina-tion es ermöglicht den Zielkonflikt aufzuheben [8 bis 9].

Auch die Sitzfederung bleibt im Fokus von Forschungs- und Entwicklungsprojekten. Um die Schwingungsbelastung von Radladerfahrern zu senken, welche bedingt durch die ungefe-derten Achsen und die nahezu ungefederte Kabine besonders hohen Schwingungsbelastun-gen ausgesetzt sind, definieren Schindler et al. verschiedene typische Einsatzszenarien für Arbeiten mit dem Radlader [10]. Anschließend werden die Schwingungen nach ISO 2631 Blatt 1 sowie ISO 2631 Blatt 5 ermittelt [6]. Hierbei ist auffällig, dass die erste Methode vor allem langsame Fahrten hinsichtlich der zulässigen Expositionszeit als ungünstig bewertet während die zweite Methode eher die Fahrzeiten in Szenarien mit höherer Fahrgeschwindig-keit begrenzt. Zur Schwingungsreduktion wird der Einfluss eines vertikalen Feder-Dämpfer-Systems betrachtet. Damit konnte eine Erhöhung der Expositionszeit bei moderaten Einsatz-szenarien zwischen 25 % und 63 % erreicht werden, bei Szenarien mit hoher Schwingungs-belastung sogar um bis zu 90 %. Eine weitere Reduktion kann durch die zusätzliche Fede-rung des Sitzes in horizontaler Richtung erreicht werden. Kim et al. betrachten den Komfort eines Traktorfahrers und vergleichen zwei gefederte Sitze, wobei einer nur in vertikaler Rich-

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tung gefedert ist, während der zweite Sitz auch über eine horizontale Federung verfügt [11]. In der Studie mit Probanden auf einer Vibrationsplattform wurde ein Unterschied in der zu-lässigen Expositionszeit nach Richtlinie 2002/44/EG von etwa einer Stunde festgestellt [12]. Für die Versuche wurde ein aus Feldmessungen gewonnenes Streckenprofil am Prüfstand nachgebildet. Die zulässige Arbeitsdauer lag für die Mehrachsfederung mit 4,1 Stunden und die vertikale Federung mit 3 Stunden insgesamt sehr niedrig. Geregelte Systeme können helfen, die Schwingung weiter zu senken. Im Journal of Terramechanics entwerfen Sim et al einen Regler für eine hydropneumatische Kabinenfederung eines Traktors [13]. Die semi-aktive Kabinenfederung ermöglicht es, verschiedene Maßzahlen zur Bewertung des Kom-forts deutlich zu reduzieren.

Neben selbst erstellten Profilen wie bei Kim et. al werden vor allem die Streckenprofile der ISO 5008 verwendet, um Ganzkörpervibrationen zu vergleichen [14; 11]. Messungen und Simulationen sind dabei unter anderem auf Grund der Streckenlänge von 35 m bzw. 100 m für den Rougher- sowie den Smoother Track aufwändig. Diesem Problem widmend sich Cu-tini et al [15]. Sie haben drei neue kurze Testprofile entwickelt, welche jeweils zur Anregung einer der drei Achsen d.h. in Fahrtrichtung, quer zu Fahrtrichtung und in Richtung der Fahr-zeughochachse dienen. Bild 3 zeigt das Profil für die Anregung der vertikalen Achse.

Bild 3: Anregungsprofil zur Schwingungsanregung in vertikaler Richtung [15]

Figure 3: Test track to test comfort parameters in the vertical direction

Dazu wurden Versuche mit drei Traktoren auf den vorgeschlagenen Anregungsprofilen durchgeführt. Die Ergebnisse wurden mit Versuchen auf dem ISO 5008 Smoother Track so-wie auf zwei Feldteststrecken (weicher Untergrund sowie verdichteter Untergrund) vergli-chen. Dabei wurden diese mit unterschiedlichen Fahrgeschwindigkeiten befahren. Die entwi-ckelte Methode soll zukünftig Komfortmessungen auf Basis der neuen Profile ermöglichen, um die objektive Komfortbewertung verschiedener Traktoren zu vereinfachen.

Kabine und Fahrerassistenzfunktionen

Der Kabinengestaltung von Arbeitsmaschinen kommt eine große Bedeutung zu, da die fahr-zeugführende Person sich die meiste Zeit im Umgang mit der Maschine dort aufhält. Ziel der Arbeit von Schempp und Böttinger ist es daher, eine Bewertung der Ergonomie der notwen-

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digen Bewegungsabläufe nach objektiven Kriterien zu erstellen [16]. In der Vergangenheit wurde dazu häufig auf Fragebögen zurückgegriffen, wobei jedoch durch Vorprägungen und persönliche Präferenzen durch etwaig vorliegende Erfahrungen das Ergebnis verfälscht wer-den kann. Die Autoren schlagen daher zwei digitale Verfahren als mögliche Prüfmethoden vor. Zum einen wird mit Hilfe einer Microsoft Kinect v2 Kamera ein 3D-Scan durchgeführt, um ein virtuelles Abbild des Kabineninnenraums zu erstellen. Dort kann anschließend eine Analyse der Greifräume durchgeführt werden. Ein alternatives Verfahren soll mit Hilfe von Motion-Capturing die Bewegung von Probanden analysieren. Berechnungen geometrischer Größen, wie z.B. verschiedene Winkel des Arms und anschließender Vergleich mit ergono-misch vorteilhaften Winkeln, kann eine Berechnung von objektiven Kennzahlen zur Bewer-tung ermöglichen.

Dynamische Ergonomieuntersuchungen stehen im Vordergrund einer Studie von Wirsching et al [17]. Mit Hilfe von digitalen Nachbildungen von Fahrzeug und Person sollen Situationen wie der Einstieg in ein Fahrerhaus modelliert und simuliert werden, um damit auch neue Fahrzeugkonzepte mit verschiedenen Geometrien am Rechner hinsichtlich einer guten Er-gonomie zu untersuchen. Auch hier wird der Vorgang zunächst mit Hilfe des Motion-Capturing-Verfahrens erfasst. Anschließend ermöglicht es die Simulation die Körperdimensi-onen einer virtuellen Person anzupassen, um eine Aussage für verschiedengroße Personen machen zu können.

Fahrsicherheit

Wie auch schon in den vergangenen Jahren stehen Systeme zum Insassenschutz bei Über-schlägen (ROPS = Roll Over Protective Structure) sowie deren sensorische Erkennung und Vermeidung im Mittelpunkt verschiedener Forschungsarbeiten. Ayers et al. stellen ein Be-rechnungsprogramm zur einfachen Auslegung und Zeichnungserstellung von Überroll-schutzsystemen vor [18]. Nach Eingabe verschiedener Parameter in einer Tabellenkalkulati-on können Fertigungszeichnungen automatisch erstellt werden, um einen Traktor mit einem ROPS nachzurüsten. Für einklappbare Überrollschutzsysteme, welche häufig eine hohe Körperkraft zum Auf- und Abbau benötigen, wird ein federkraftunterstütztes System vorge-stellt, welches den Vorgang vereinfacht. Dadurch wird die Benutzungshäufigkeit gesteigert und schwere Verletzungen im Überschlagsfall werden vermeiden. Die generellen Bestrebun-gen den Schwerpunkt eines Fahrzeugs zu senken, um die Überschlagswahrscheinlichkeit zu reduzieren, bewirken ein erhöhtes Risiko eines gefährlichen Mehrfachüberschlags. Deshalb muss für diese Fahrzeuge die Höhe des Überrollschutzes vergrößert werden.

Traktoren sind bedingt durch ihren hohen Schwerpunkt einer erhöhten Gefahr von Über-schlägen ausgesetzt. Dies gilt auch für die im PKW-Bereich vermehrt verkauften SUVs. Übli-che Testverfahren im Labor zum Überschlagverhalten bestehen in der Regel darin, das Fahrzeug über die Querachse zu ziehen und den Überschlag z.B. durch seitliches Rutschen im Sand oder Bordsteinanprall auszulösen. In der Realität sind Überschläge jedoch häufig die Folge von Ausweichmanövern aus einer Fahrbewegung in Fahrzeuglängsrichtung her-aus. Die hierbei auftretenden Einwirkungen auf die Insassen unterscheiden sich stark von den Laborbedingungen. Hong et al. schlagen daher ein Testverfahren vor, welches mit Hilfe

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eines Lenkroboters eine wiederholbare lenkungsinitiierte Überschlagsituation für das Fahr-zeug auslöst [19]. Ziel ist es, mit den gewonnenen Daten durch Sensoren im Fahrzeug eine Überschlagsituation noch besser zu erkennen. Auch Yin et al untersuchen den Mechanismus des Überschlags [20]. Das von ihnen vorgeschlagene Maß zur Bewertung des Auftretens eines Überschlags berücksichtigt dabei auch Anregungen durch unebenen Untergrund.

An Assistenzsysteme, wie das seit den 1980er Jahren in PKW zunehmend verbreitete Anti-blockiersystem (ABS), können bei Einsatz auf unebenem oder losen Untergrund neue Anfor-derungen gestellt werden. Penny und Els setzen für die Simulation dieses Vorgangs ein FTi-re Reifenmodell ein, da dieses auch für hohe Frequenzen gute Ergebnisse liefert, die bei ABS-Bremsvorgängen auf unebenem Untergrund auftreten [21]. Dass Bremsvorgänge mit ABS auf unebenem Untergrund problematisch sein können, zeigt ein mit einem Fahrzeug durchgeführter Versuch, bei dem der ABS Aktor deaktiviert war, so dass eine normale Brem-sung durchgeführt wurde. Bedingt durch die hohen Radlastschwankungen durch Anregun-gen vom Untergrund kam es auch ohne ABS zu starken Abweichungen der Rotationsge-schwindigkeit. Dies ist eine Erklärung für die schlechte Regelwirkung von ABS-Bremsen auf unebenem Untergrund.

Mit dem Umbau eines Traktors zur Demonstration verschiedener Funktionen stellt ZF den sogenannten "Innovationstraktor" vor [22]. Dieser verfügt über ein Traktionsmanagement mit elektrisch angetriebener Anhängerachse, welche durch einen Hochvolt-Generator im Getrie-be versorgt wird und zur Traktionsverbesserung und Erhöhung der Sicherheit beitragen kann. So wird beispielsweise das Einknicken bei Kurvenfahrt ("Jackknifing") vermieden. Mit Hilfe von Kameras kann das Fahrzeug automatisch Rangieren und Ankoppeln. Es benötigt zur Erkennung des Anhängers bzw. Anbaugerätes aktuell jedoch noch Zieltafeln ("Targets"). Auch eine Personenerkennung ist möglich. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt ein von ZF vor-gestellter LKW, der zur Minimierung von Unfallrisiken beitragen kann [23]. Der implementier-te Ausweichassistent (EMA Evasive Maneuver Assist) prüft in Gefahrensituationen, ob eine vom Fahrer ausgelöste Notbremsung ausreicht, um das Fahrzeug vor einem Hindernis stop-pen zu können. Ist dies nicht der Fall, so wird abhängig von einem Lenkimpuls durch den Fahrer das Fahrzeug automatisch links bzw. rechts am Hindernis vorbeigelenkt. Hierbei wird ein Schleudern, Kippen oder eine gefährliche Teilüberdeckung mit dem Hindernis vermieden. Auch ein Autobahnfahrassistent mit Spurerkennung sowie eine abstandsabhängige Ge-schwindigkeitsregelung mit geplanter Möglichkeit des Platoonings als auch ein automati-sches Rangieren zur Laderampe am Betriebshof sind in das Demonstrationsfahrzeug inte-griert. Letzteres erfordert lediglich das Halten eines Knopfes am Smartphone während sich der LKW mit Auflieger selbstständig seinen Weg zur Laderampe sucht. Auch Fußgänger, die den geplanten Weg kreuzen, werden erkannt. Die Arbeit von Blume et al. soll ebenfalls ein automatisches Ankuppeln an ein Anbaugerät ermöglichen [24]. Hierfür wird eine Time-of-Flight Kamera verwendet. Der entwickelte Algorithmus und die Hardware liefern in Gebäu-den gute Ergebnisse sind aber momentan auf Grund der Abhängigkeit von Störeinflüssen im Außenbereich nur bedingt für Außenanwendungen geeignet.

Für die auch bei Traktoren zunehmend einsetzende Elektrifizierung sowie Digitalisierung müssen zur Betrachtung der Systemsicherheit auch Fragestellungen bezüglich einer Ausfall-

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sicherung sowie datensicherheitstechnische Fragen berücksichtigt werden. Die Vorträge von Lehmann et al. zur Ausfallsicherung von x-by-wire-Systemen sowie von Nagel und Neumann zur "embedded security" zeigen, dass Fehler in diesen Systemen sich durch die direkte Ver-bindung zu Antriebskomponenten unmittelbar auf die Fahrsicherheit auswirken können [25; 26].

Zusammenfassung

Bei Traktoren nehmen Assistenzfunktionen stetig zu, die durch zusätzliche Sensoren sowie der Verbindung vorhandener Sensorsignale realisiert werden können. Wichtig ist es hierbei, die Sicherheit dieser Systeme nicht aus dem Auge zu verlieren. Dennoch haben grundle-gende Untersuchungen der bereits seit vielen Jahrzehnten bekannten Zusammenhänge kei-nes Falls an Bedeutung verloren, wie beispielsweise die Bestimmung des Radschlupfes so-wie des Traktionswirkungsgrades. Sie werden im Gegenteil in Anbetracht der neuen Mög-lichkeiten, wie einer zusätzlich angetriebenen und regelbaren Anhängerachse oder der Zu-satzaufbringung von Antriebsmomenten an einzelnen Rädern weiter im Detail erforscht, um sie nutzbar zu machen. Auch wenn die digitalen Systeme z.B. durch bessere Erkennung einer Überschlagssituation zukünftig helfen können, diese zu vermeiden, kann auf passive Sicherheitssysteme wie ROPS nicht verzichtet werden und auch diese können noch Detail-verbesserungen erfahren.

Literatur

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Krüger, Jan; Meyer, Henning J.: Fahrdynamik - Fahrsicherheit - Fahrerplatz. In: Frerichs, Ludger (Hrsg.): Jahrbuch Agrartechnik 2016. Braunschweig: Institut für mobile Maschinen und Nutzfahrzeuge, 2017. S. 1-10

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Krüger, Jan; Meyer, Henning Jürgen: Fahrdynamik - Fahrsicherheit - Fahrerplatz. In: Frerichs, Ludger (Hrsg.): Jahrbuch Agrartechnik 2016. Braunschweig: Institut für mobile Maschinen und Nutzfahrzeuge, 2017. – S. 1-10

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