Beitrag in Jahrbuch 2015

Automatisierungstechnik Arbeitswissenschaft

Kurzfassung:

Zur arbeitswirtschaftlichen Optimierung von Produktionssystemen und zur Qualitätssicherung stehen vermehrt sensorgesteuerte, automatisierte Verfahren zur Verfügung. Neben Entscheidungsgrundlagen für den Einsatz von Mensch, Tier und Maschine bieten sog. „Smart Farming“ (SF-) Systeme Potenziale für effiziente, emissionsmindernde und ressourcenschonende Verfahren in der Aussen- (Bodenbearbeitung, Saat, Pflanzung, Düngung, Pflanzenschutz, Ernte, Maschineneinsatz, Bewässerung etc.) und Innenwirtschaft (Melken, Fütterung, Entmistung, Lüftung, Gesundheitsmonitoring etc.). Die Vernetzung der Systeme untereinander schafft zusätzliche Synergien. Offen ist, unter welchen Voraussetzungen diese neuen Technologien der Landwirtschaft inkl. den vor- und nachgelagerten Bereichen einen Mehrwert bringen und in der vorwiegend kleinstrukturierten Landwirtschaft wirtschaftlich einsetzbar sind. Darüber hinaus besteht ein grosser Forschungsbedarf bezüglich der Akzeptanz der Systeme in der landwirtschaftlichen Praxis, auch unter Berücksichtigung des demografischen Wandels.

Volltext

Arbeitswissenschaft

Matthias Schick, Agroscope, Institut für Nachhaltigkeitswissenschaften INH

Kurzfassung

Zur arbeitswirtschaftlichen Optimierung von Produktionssystemen und zur Qualitätssicherung stehen vermehrt sensorgesteuerte, automatisierte Verfahren zur Verfügung. Neben Entscheidungsgrundlagen für den Einsatz von Mensch, Tier und Maschine bieten sog. „Smart Farming“ (SF-) Systeme Potenziale für effiziente, emissionsmindernde und ressour-censchonende Verfahren in der Aussen- (Bodenbearbeitung, Saat, Pflanzung, Düngung, Pflanzenschutz, Ernte, Maschineneinsatz, Bewässerung etc.) und Innenwirtschaft (Melken, Fütterung, Entmistung, Lüftung, Gesundheitsmonitoring etc.). Die Vernetzung der Systeme untereinander schafft zusätzliche Synergien. Offen ist, unter welchen Voraussetzungen diese neuen Technologien der Landwirtschaft inkl. den vor- und nachgelagerten Bereichen einen Mehrwert bringen und in der vorwiegend kleinstrukturierten Landwirtschaft wirtschaftlich ein-setzbar sind. Darüber hinaus besteht ein grosser Forschungsbedarf bezüglich der Akzeptanz der Systeme in der landwirtschaftlichen Praxis, auch unter Berücksichtigung des demografi-schen Wandels.

Schlüsselwörter

Arbeitszeit, Arbeitsbelastung, smart farming, Systemansatz, Schwachstellenanalyse, Ar-beitsorganisation, Arbeitssicherheit

Farm Work Science

Matthias Schick, Agroscope Tänikon, Institut für Nachhaltigkeitswissenschaften INH

Abstract

For consideration of work economic optimization of production systems and quality assur-ance sensor-controlled, automated processes are increasingly available. In addition to deci-sion-making facts provide for the use of human, animal and machine offer the "Smart Farm-ing" (SF) systems potential for efficient, reducing emissions and conserve resources pro-cesses in crop production (for example fertilization, plant protection, machinery use, irrigation) but also in livestock farming (milking, feeding, mucking, ventilation, health monitoring). The networking between several agricultural systems creates additional synergies. It is still unclear under what conditions these new technologies of farming incl. the pre- and post-mounted areas provide added value and in the predominantly small-scale farming are economically viable. In addition, there is a great need for research on the acceptability of the systems in agricultural practice, also taking into account the demographic changes.

Keywords

orktime requirements, Workload, Smart Farming, System approach, Work organization, Weak point analysis, Work safety

Arbeitszeitbedarf

Arbeitsanalysen in Form von direkten Zeitmessungen stehen im Vordergrund der meisten arbeitswirtschaftlichen Betrachtungen. Die händische Arbeitsbeobachtung stellt dabei die Beobachtungspersonen bei kurzzyklischen Arbeits- und Prozessabschnitten vor grosse Her-ausforderungen. Eine Lösungsmöglichkeit stellen mittlerweile videounterstützte Zeitmessun-gen dar. Damit können Datenaufbereitung und -auswertung reliabel gestaltet werden [1]. Die Problematik der exakten Einflussgrössenerfassung während der Messung (z.B. Wegstrecken, Massen, etc.) ist damit allerdings noch nicht gelöst [2]. Durch gezielte Anordnung von hochpräzisen Sensoren können hierbei Lösungen angeboten werden [3]. Die Mobilität dieser Sensortechniken ist aber noch nicht standardisiert.

Bild 1: Videounterstützte Zeitmessung [1]

Figure 1: Video based time measurement [1]

Betriebsführung

Die vielfältigen Arbeitsabläufe bei komplexer werdenden Mensch-Maschine-Systemen bein-halten mehrere physische und psychische Belastungskomponenten [4]. Die zunehmende Automatisierung erhöht die Anforderungen an das Bedienpersonal. Es sind zunehmend sehr gut ausgebildete Fachkräfte notwendig um Maschinen einzurichten, zu warten und den rei-bungslosen Ablauf von Routinetätigkeiten zu gewährleisten [5; 6].

Der Landwirt als Unternehmer übernimmt dabei vermehrt eine Drehscheibenfunktion um sämtliche betrieblichen Daten zu erfassen, zu nutzen und zu verwalten. Dabei stellen auch heute noch übliche Mehrfacheingaben einen zusätzlichen Aufwand und eine Fehlerquelle dar [7].

Bild 2: Landwirt als Drehscheibe aller Betriebsdaten [7]

Figure 1: Farmer as the hub of all operating data [7]

Der steigende Anteil der Betriebsführungsarbeiten in der Landwirtschaft basiert im Wesentli-chen auf zunehmenden administrativen Tätigkeiten und Kontrollen. Mit elektronischen Hilfs-mitteln ist teilweise eine zeitliche Entlastung möglich. Unter Umständen kann damit allerdings eine zusätzliche psychische Belastung einhergehen. Über verschiedene softwaregestützte Expertensystem-Apps wird versucht in verschiedenen Forschungsprojekten Abhilfe zu schaffen [1].

Arbeitsorganisation

Der Einsatz von Checklisten und Standardarbeitsanweisungen (SOP) setzt sich in der land-wirtschaftlichen Produktion nur langsam durch. Die standardisierten Betriebsabläufe insbe-sondere bei kurzzyklischen Abläufen werden noch nicht überall als vorteilhaft angesehen. Kennzahlenbasierte Schwachstellenanalysen werden dagegen vermehrt im Rahmen von Arbeitskreisen oder einzelbetrieblichen Analysen durchgeführt [8].

Zur einzelbetrieblichen Analyse werden vermehrt einfache Zeiterfassungssysteme (Apps) eingesetzt um die IST-Situation in Anlehnung an bestehende Kalkulationsdaten zu erfassen und mit eigenen Zahlen zu vergleichen.

Kalkulations- und Bewertungssysteme

Zur Bewertung der landwirtschaftlichen Arbeit werden vermehrt Systemansätze herangezo-gen. Dabei werden die drei Dimensionen der Arbeitsbelastung (zeitliche, physische und psy-chische) nicht mehr isoliert voneinander betrachtet sondern die jeweiligen Auswirkungen mit einbezogen. In einem wissenschaftlichen Systemansatz werden dabei auch die Methoden der Systemanalyse, der Modellbildung und der Verifizierung als Grundlage für Systemdesig-nerstellungen herangezogen.

Neben der ausschliesslichen Betrachtung der Arbeitszeiten werden hierbei auch vermehrt Prozessanalysen durchgeführt um die Auslastung von technischen Systemen in der Innen- und Aussenwirtschaft zu kalkulieren und teilweise zu optimieren [9; 10; 11]. Zur mathemati-schen Abbildung von komplexen Transportketten werden dabei beispielsweise die Kirchhoff-schen Regeln eingesetzt. Damit können Transportketten als kontinuierliche Transportflüsse beschrieben werden. Als Ergebnis stehen systembedingt realisierbare Durchsätze sowie dazugehörige kritische Transportpfade und notwendige Transportkapazitäten zur Verfügung [12].

Arbeitsplatzbedingungen

Zur Analyse von landwirtschaftlichen Arbeitssystemen und zur Verbesserung der Arbeits-platzbedingungen werden vermehrt Industrieansätze herangezogen. Zur Quantifizierung der physischen Belastungskomponenten im Melkstand stehen u.a. die Herzfrequenzmessung und die Messung der Herzratenvariabilität zur Verfügung. Ausgehend davon können Opti-mierungsstrategien zur Gestaltung des Melkstandes erarbeitet werden [13; 14; 15].

Eine weitere Methode zur Untersuchung der Arbeitshaltungen bei verschiedenen Arbeitsver-fahren erfolgt über die Computerunterstützte Erfassung und Langzeitanalyse (CUELA). Damit können die Bewegungen des Muskelskelettsystems erfasst und analysiert werden. Die Anwendbarkeit wurde in einer Machbarkeitsstudie validiert. Als Ergebnis stehen Empfehlun-gen für ideale Grubentiefen bei Melkständen zur Verfügung. Damit können langfristig schä-digende Arbeitshaltungen weitestgehend vermieden werden [16].

Arbeitssicherheit

Im Bereich der Arbeitssicherheit wurden im Berichtszeitraum u.a. Forschungsarbeiten zu Schwingungen bei Traktorkabinen, zu verbesserten Traktorsitzen und zur Farbgestaltung von Sicherheitsbrillen durchgeführt. Dabei werden bestehende ISO-Normen kritisch hinterfragt und interaktive Traktor-Fahrsimulationen von verschiedenen Herstellern etabliert. Der Vorteil der Simulation besteht in der einfachen Parametervariation unter c.p. Bedingungen und damit reliablen Ergebnisdarstellungen. Der Einbezug von verschiedenen Spektren für verschiedene Anwendungsbereiche bei Sicherheitsbrillen für landwirtschaftlichen Arbeiten bietet bei vergleichsweise geringen Kosten ein grosses Optimierungspotenzial [17].

Zusammenfassung

Sowohl die Mechanisierung als auch die zunehmende Automatisierung führt zu einer ständig fortschreitenden Rationalisierung der landwirtschaftlichen Produktion. In den letzten 25 Jah-ren wurde die klassische Mechanisierung dabei vermehrt durch Informations- und Kommuni-kationstechnologien (ICT) ergänzt. Durch deren Einsatz wird der Mensch von Routinearbeiten entlastet und kann seine Arbeitskraft effizienter einsetzen, vorhandene Ressourcen bestmöglich ausschöpfen sowie die Produktions- und Produktqualitäten sichern bzw. ver-bessern. Die psychischen Belastungskomponenten sind bei diesem Prozess allerdings zu-nehmend erkennbar. Die fortschreitende Mechanisierung ist ein evolutiver Prozess, an den sich die Arbeitskräfte unterschiedlich schnell anpassen. Oftmals sind auch mentale Barrieren im Spiel, da sich die Landwirte und Landwirtinnen durch die neuen Technologien nicht abge-holt fühlen.

Literatur

[1] Heitkämper, K.; Wagner, A.; Schlatter, M.; Umstätter, C. und Schick, M.: Administrative Vereinfachung in der Landwirtschaft. Was bedeutet das in Zeiteinheiten? VDI-MEG 20. Arbeitswissenschaftliches Kolloquium, Hohenheim; H. 41 (2016) S. 59 - 68.

[2] Umstätter, C.; McSweeney, D.; Foley, F.; Halton, P.; Heitkämper, K.; Schick, M. und O'Brien, B.: Können virtuelle Zäune Arbeit einsparen? VDI-MEG 20. Arbeitswissen-schaftliches Kolloquium, Hohenheim; H. 41 (2016) S. 51 - 58.

[3] Umstätter, C.; McSweeney, D.; Foley, C.; Halton, P.; Heitkämper, K.; Schick, M.; O'Bri-en, B.: Labour requirements of fencing in grazing systems and a potential technological solution. In: 7thEuropean Conference on Precision Livestock Farming. 15-18 Septem-ber, Hrsg. EC-PLF, Milan Italy. 2015, p. 1-8.

[4] Umstätter, C.; Stark, R.; Schmid, D.; Schick, M.: Impact of technological advances on annual working time in Swiss farming. In: Environmentally friendly agriculture and for-estry for future generations XXXVI CIOSTA & CIGR Section V Conference 2015. 26-28 May, Hrsg. CIOSTA & CIGR, Saint Petersburg, Russia. 2015, S. 849-856.

[5] Lorencowicz, E.; Uziak, J.: Farmers collaboration – the way for improving sustainability. In: Lorencowicz E. (red.), Baptisa F. (red.), Silva L.L. (red.), Marques da Silva J.R. (red.). (2014). Sustainable agriculture Poland-Portugal. Lublin-Evora, (ISBN 978-83-937433-1-5), p. 99-110.

[6] Lorencowicz, E.; Uziak, J.: Repair Cost of Tractors and Agricultural Machines in Family Farms. Agriculture and Agricultural Science Procedia, 7 (2015), p. 152-157.

[7] Hörmann, S.; Handler, F.; Tomic, D.K. und Drenjanac, D.: Prozessoptimierung und Datenmanagement in der Milchviehhaltung durch den Einsatz semantischer Technolo-gien. VDI-MEG 20. Arbeitswissenschaftliches Kolloquium, Hohenheim; H. 41 (2016)

S. 121 - 128.

[8] Schick, M.: Kennzahlenbasierte Schwachstellenanalyse. VDI-MEG 20. Arbeitswissen-schaftliches Kolloquium, Hohenheim; H. 41 (2016) S. 155 - 163.

[9] Macuhova, J.; Haidn, B.: Entwicklung der Tools für arbeitswirtschaftliche Ist-Analyse für die Innenwirtschaft auf Milchvieh-, Bullenmast- und Schweinemastbetrieben. VDI-MEG 20. Arbeitswissenschaftliches Kolloquium, Hohenheim; H. 41 (2016) S. 143 - 154.

[10] Albrecht, F.; Macuhova, J.; Simon, J.; Haidn, B. und Bernhardt, H.: Entwicklung von Berechnungsmodellen für die Einschätzung der Auslastung von Entmistungsrobotern. VDI-MEG 20. Arbeitswissenschaftliches Kolloquium, Hohenheim; H. 41 (2016)

S. 129 – 142.

[11] Mederle, M.; Gerl, M.; Heizinger, V. und Bernhard, H.: Analyse von Prozesszeiten beim Mähdrusch unter Berücksichtigung unterschiedlicher Agrarstrukturen. VDI-MEG 20. Arbeitswissenschaftliches Kolloquium, Hohenheim; H. 41 (2016) S. 29 – 38.

[12] Fechner, W.: Methode zur Berechnung komplexer Transportketten. VDI-MEG 20. Ar-beitswissenschaftliches Kolloquium, Hohenheim; H. 41 (2016) S. 39 - 50.

[13] Mayrhofer, M.; Prinz, B.; Nimmerichter, A. und Quendler, E.: Herzfrequenzmessung zur Bestimmung der Beanspruchung von MelkerInnen beim Melken in Melkständen oberösterreichischerer Betriebe. VDI-MEG 20. Arbeitswissenschaftliches Kolloquium, Hohenheim; H. 41 (2016) S. 107 – 112.

[14] Kolstrup, C.; Jakob, M.: Epidemiology of musculoskeletal symptoms among milkers and dairy farm characteristics in sweden and germany. Journal of Agromedicine. 21, 1 (2016) 43-55. URL http://dx.doi.org/10.1080/1059924X.2015.1106373.

[15] Thinius, M.; Jakob, M.: A strategy for workplace health promotion on German dairy farms. Agricultural Engineering International the CIGR Ejournal. 17, 1 (2015): p. 173-180. URL http://www.cigrjournal.org/index.php/Ejounral/article/view/3183/2039.

[16] Cockburn, M. und Schick, M.: Ergonomie in Melkständen. VDI-MEG 20. Arbeitswissen-schaftliches Kolloquium, Hohenheim; H. 41 (2016) S. 113 - 120.

[17] Bombosch, F.: Besser sehen mit der richtigen Scheibentönung. VDI-MEG 20. Arbeits-wissenschaftliches Kolloquium, Hohenheim; H. 41 (2016) S. 23 – 28.

 

 

 

 

 

 

 

Bibliografische Angaben / Bibliographic Information

Empfohlene Zitierweise / Recommended Form of Citation

Schick, Matthias: Arbeitswissenschaften. In: Frerichs, Ludger (Hrsg.): Jahrbuch Agrartechnik 2015. Braunschweig: Institut für mobile Maschinen und Nutzfahrzeuge, 2016. S. 1-6

Zitierfähige URL / Citable URL

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Empfohlene Zitierweise:
Schick, Matthias: Arbeitswissenschaft. In: Frerichs, Ludger (Hrsg.): Jahrbuch Agrartechnik 2015. Braunschweig: Institut für mobile Maschinen und Nutzfahrzeuge, 2016. – S. 1-6

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